Weinwissen nicht nur für Profis

© Tages-Anzeiger, 6. Mai 2006, Seite 53, Savoir-vivre

Weinwissen - nicht nur für Profis

Die Weinwelt ist ein schier unerschöpfliches und vor allem unübersichtliches Gelände. Was muss man mindestens wissen? Ein kleiner Leitfaden vom Fachmann Philipp Schwander.

Mit Philipp Schwander sprach Daniel Böniger

Woran soll sich ein Konsument ohne besonderes Weinwissen orientieren: Am Produzenten? An den Jahrgängen? An der Region?

Die Traubensorte ist meist das prägendste Merkmal eines Weines. Zwischen einem geschmeidigen Pinot Noir und einem kräftigen Syrah liegen Welten. Es ist also lohnend, sich die Eigenschaften dieser Rebsorten einzuprägen. Produzenten gibt es Tausende - die wichtigsten Rebsorten kann man an zwei Händen abzählen.

Können Sie typische Sorten beschreiben?

Riesling ist relativ leicht und fruchtig, Chardonnay dagegen hat einen höheren Alkoholgehalt, ist säurearmer und kräftiger. Aus dickschaligen roten Cabernet-Sauvignon-Trauben werden tieffarbene, herbe Weine gekeltert. Bei der Sorte Tempranillo resultieren abgerundete, schmeichelhafte Weine. Welche Sorten Ihnen schmecken, finden Sie mit Degustieren heraus. An einer Fachmesse beispielsweise oder beim Weinhändler Ihres Vertrauens.

Gibt es Mindestanforderungen an einen Weinkeller, was die Lagerung betrifft?

Weine für den raschen Konsum können einige Wochen bei Zimmertemperatur gelagert werden, sofern sie keinen Temperaturschwankungen oder direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Unbedingt vermieden werden sollten Fremdgerüche. Ideal ist ein Keller mit einer Temperatur von rund 12 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von etwa 70 Prozent. Schliesslich «lebt» ein Wein. Er enthält Hefen und Bakterien, sofern er nicht steril filtriert wurde. Ausserdem gilt: Je kälter der Keller, desto langsamer reift der Wein.

Wenn ich in einer italienischen Trattoria einen Wein entdecke, der mir ausgesprochen gut schmeckt - soll ich das Auto mit dem Tropfen füllen?

Da rate ich zur Vorsicht - Wein ist ein sehr emotionales Produkt. Die Stimmung, in der Sie ihn geniessen, trägt viel dazu bei, wie er beurteilt wird. Oft schmeckt ein vermeintlich zauberhafter Tropfen in der nüchternen Atmosphäre zu Hause unspektakulär. Übrigens sind manche Weine in der Schweiz preiswerter als in der Ursprungsregion; auch das sollte man vor einem Grosseinkauf beachten.

Wenn ich an einem idyllischen Weingut vorbeikomme, kann ich da ungeniert anklopfen und degustieren?

Wenn man die Ferien in einer Weingegend verbringt, sollte man die Möglichkeiten tatsächlich nutzen. Allerdings empfinde ich es als unanständig, ohne Voranmeldung bei einem Weingut vorbeizusehen. Am besten lassen Sie sich von Ihrem Weinhändler einen Termin fixieren. Die Fachausdrücke, mit denen Aromen umschrieben werden, sind recht vielfältig - von Leder, Eukalyptus oder gar Bleistift wird da gesprochen . . . Pseudoweinkenner machen gerne Eindruck mit besonders blumigen Beschreibungen. Kein Fruchtsalat in den Weinbeschreibungen, heisst dagegen meine Devise. Aromen sollten nur in die Weinbeschreibung einfliessen, wenn sie für jeden klar erkennbar sind. Zuallererst interessiert ja, ob ein Wein weich oder herb ist, leicht oder kräftig, alt oder jung.

Gibt es beim Discounter oder im Supermarkt überhaupt gute Weine?

Auch wenn eine vernünftige Beratung fehlt, kann man mit etwas Glück bei den Grossverteilern sehr gute Weine finden. Übrigens sind Discounter nicht immer billiger als traditionelle Weinhändler. Oft werden die berühmten Crus classés aus dem Bordelais zu sehr tiefen Preisen auf den Markt geworfen, um zu suggerieren, dass beim gesamten Sortiment so tief kalkuliert wird. Wein ist für Supermärkte ein interessantes Produkt, weil die Margen vergleichsweise hoch sind. Wie viel ein Kilo Butter kostet, weiss jeder - was ein Chianti mit Fantasiebezeichnung wert ist, das ist aber schon eine schwierigere Frage. 

Bekomme ich bessere Weine, wenn ich mehr Geld ausgebe?

Ein höherer Preis ist vielleicht ein Indiz, aber keinesfalls eine Garantie für besseren Wein. Es gibt auch miserable Tropfen für über 50 Franken pro Flasche zu kaufen. Ich könnte Ihnen Jahrgänge renommierter Weine nennen, die ein Vermögen kosten, qualitativ aber bescheiden ausgefallen sind. Sowieso: Was heisst «besser»? Ein Laie ist vermutlich mit einem geschmeidigen Rioja glücklicher als mit einem tanninbetonten, zu jungen Cru classé aus dem Bordelais.

Was ist eigentlich «Zapfen»?

Ein Wein mit Korkton entfaltet einen schimmligen und muffigen Geschmack. Lange Zeit wurde dieser «Zapfen» auf die Behandlung des Rohkorkens mit Chlorverbindungen zurückgeführt. Aber auch bereits vor der Verarbeitung kann in der Rinde der Korkeiche bei schlechter Lagerung ein Korkton entstehen. Deshalb sucht die Industrie nach Möglichkeiten, den Naturkorken zu ersetzen. Für viele Weine wäre ein Drehverschluss ideal, bei teureren Weinen wird dieser aber aus ästhetischen Gründen abgelehnt. Möglich, dass der Glasverschluss eine Lösung ist.

Und einem Wein mit Plastikzapfen - kann man dem trauen?

In der Regel verwenden die Winzer nach wie vor Naturkork für ihre besten Weine, weil dies eine harmonische Reifung ermöglicht. Aber grundsätzlich können auch Flaschen mit Plastikzapfen sehr gute Qualitäten enthalten. Mich überzeugen Kunststoffkorken nicht gänzlich, weil die Weine schneller altern als mit Drehverschluss. Ausserdem weiss man zu wenig darüber, ob gewisse Stoffe - zum Beispiel Weichmacher - aus dem Plastikzapfen herausgelöst werden, wenn sie jahrelang lagern.

Und wie erkenne ich, ob umstrittene Vinifizierungsmethoden angewendet wurden? Wenn dem Wein beispielsweise Eichenchips zugegeben wurden?

Preiswerte Weine aus Übersee - wie etwa Chardonnay und Cabernet Sauvignon - sind oft mit Eichenchips behandelt worden. Seit kurzem ist das übrigens auch in der EU für AC-Weine erlaubt. So wird dem Wein ein leichter Eichengeschmack verliehen, ohne dass eine Lagerung in teuren Eichenfässern nötig ist. Zweifelsfrei erkennen kann man das später nicht.

Wie erkenne ich Weine, die fraktioniert, das heisst in ihre Bestandteile zerlegt und nach eigenem Gusto wieder zusammengesetzt worden sind?

Hochwertige Weine werden auch heute noch mit einem Minimum an Eingriffen gekeltert. Weil ein seriöser Weinproduzent sein Erzeugnis möglichst unverfälscht auf den Markt bringen möchte. Je mehr herumgebastelt wird, desto mehr verliert ein Wein seinen Charakter. Trotzdem ist die so genannte Fraktionierung neuerdings in Europa zulässig. Die geschmackliche Veränderung steht bei der Fraktionierung überhaupt nicht im Vordergrund. Sie wird ja immer nur auf einen kleinen Teil des gesamten Weines angewendet. Nicht um die Aromastruktur zu verändern, sondern um den Alkoholgehalt zu verringern.  mit über 14 Prozent Alkohol ein wesentlich höherer Steuersatz gilt. In Europa dagegen haben wir ein anderes Problem: zu wenig Zucker in den Traubenbeeren. Oft wird deshalb vor der Gärung Zucker zum Most dazugegeben, um den Alkoholgehalt zu erhöhen. Die viel diskutierte Aromatisierung des Weines ist nach wie vor nicht erlaubt.