Die Fachkenntnisse im Service sind deutlich schlechter geworden - Interview mit Philipp Schwander im GastroJournal Nr.  47 | 21. November 2019

INTERVIEW UND FOTO RETO E. WILD

Welche Noten stellen Sie den Weinkarten in den Schweizer Restaurants aus?

Philipp Schwander: Das Angebot ist im Vergleich zum Ausland sehr gut und viel breiter, mit einer Vielzahl aus verschiedenen Ländern. In Frankreich, Italien oder Spanien findet man fast nur Weine aus der Heimat. Und gemessen an unseren Löhnen sind die Weinpreise in den Schweizer Restaurants meist erstaunlich tief. Viele Schweizer Gastronomen haben glücklicherweise verstanden, dass sie einen fixen Frankenbetrag auf den Flaschenpreis schlagen sollen und nicht mit einem sturen Faktor kalkulieren müssen. Insgesamt gibt es aber enorme qualitative Unterschiede bei den Weinkarten. Und es gibt durchaus Lokale, bei denen man sofort spürt, dass Wein nicht unbedingt das Lieblingsgetränk des Gastgebers ist. 

Wie merken Sie das?

Wenn die Karte aus Allerwelts-Markenweinen besteht, die es überall gibt und keine Bemühung ersichtlich ist, etwas Spezielles aufzuführen. Spezialitäten erfordern Fachwissen und ein Bera tungs gespräch mit dem Gast. Ein bekannter Wein erklärt sich von allein. Es ist nicht schlimm, wenn nur bekannte Namen aufgelistet  werden, aber es zeugt nicht von Fachkenntnis und Liebe zum Produkt. Dann gibt es immer mehr die Restaurants, die ausschliesslich sogenannte «Naturweine» – der Begriff ist übrigens nicht geschützt – auf der Karte haben. Das empfinde ich nicht nur als Zumutung, sondern schlicht als dumm.

Sie halten als Master of Wine nicht viel von Naturweinen.

Die Grundidee ist sehr erstrebenswert, möglichst naturbelassene Weine produzieren zu wollen. Es gibt mittlerweile auch immer mehr Winzer, welche dieses Ziel erreichen. Nur erfordert das viel mehr Fachkenntnisse als eine herkömmliche Weinproduktion. Ein Grossteil der Naturweinproduzenten sind indes idealistische Aussteiger, die im besten Fall einen kleinen Basis-Önologiekurs belegt haben und sich dann in die Weinproduktion stürzen. Das endet oft im Debakel! Sei es, dass die Trauben vergammeln, weil kein professioneller Pflanzenschutz betrieben wurde oder die Weine später im Ausbau kippen, weil grundlegende Regeln der Vinifikation und der Hygiene missachtet wurden. Offensichtlich fin-det man aber immer noch genügend unbedarfte Konsumenten, denen man diese fehlerhaften Produkte als besonders natürlich und gelungen verkaufen kann. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich dieses Problem mittelfristig von alleine lösen wird. 

Wie gut sind die Kenntnisse der Serviceangestellten?

Noch gut, aber sie sind deutlich schlechter geworden. Es gibt mittlerweile Sommeliers, die das Basiswissen über Wein nicht mehr mitbekommen haben. Sie schwafeln dafür gerne über irgendwelche esoterischen Naturweine, die nie-mand kennt und die oft nach Sauerkraut riechen. Das Thema Natur- und Orangewein ist eine fantastische Ausrede, sich unbelastet von Fachwissen wichtig zu machen. Es wäre etwa wie wenn ein Metzger einem Kunden ein vergammeltes Stück Fleisch verkauft und sagt, das sei «Natur», weil es ja vor 200 Jahren auch keine Kühlschränke gegeben habe. Kürzlich besuchte ich das sehr hippe Restaurant Gresca in Barcelona. Das Essen war sehr gut, auf der Karte gab es indes nicht einen einzigen trinkbaren Wein, obwohl wir fünf verschiedene Fla-schen bestellt haben. Als ich dann den Sommelier in ein Fachgespräch verwickeln wollte, stellte ich fest, dass er von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte. Gerade in Ballungszentren wie beispielsweise Zürich, Wien, London oder Madrid sind solche eingebildeten Anfänger leider eine epidemische Erscheinung. 

Wie denken Sie über vegane Weine?

Vegane Weine existieren nicht, denn während der Ernte wimmelt es von Insekten, und damit verbleiben letztlich immer tierische Eiweissrückstände im Wein. Ein veganer Wein ist so wahrscheinlich wie eine Jungfrau als Prostituierte. 

Bei welchen Weinen sehen Sie ein grosses Potenzial für die Gastronomie?

Die Schweizer schätzen einen hochwertigen Tempranillo aus der Ribera del Duero oder der Rioja. Die Traubensorte hat relativ wenig Säure, ist geschmeidig und kann grossartige Weine ergeben. Italienische Weine zu italienischem Essen sind natürlich der Dauerbrenner, wie auch ein solider Bordeaux. Ich persönlich schätze hochklassige rote Burgunder über alles, leider sind viele schlecht, und die Preise sind völlig verrückt geworden. Man findet mittlerweile in vielen Regionen Herausragendes, man muss sich nur ein bisschen bemühen.

Wo zum Beispiel?

Kürzlich besuchte ich ein herausragendes Weingut in der Bekaa-Ebene im Libanon. Punkto Preis-Leistung ist Spanien führend, aber auch Südfrankreich wird immer besser; Portugal ist nach wie vor nicht so einfach. Apulien kann sehr gut sein, leider sind dort Rotweine mit viel Restsüsse erlaubt, was von immer mehr Produzenten schamlos ausgenützt wird. Bei den Weissweinen kann man im Bordeaux, im spanischen Rueda, im öster-reichischen Weinviertel, aber auch in der Pfalz wunderbare Entdeckungen machen.

Welche Trends gibt es derzeit in der Weinwelt?

Österreich ist ein gutes Beispiel für gewisse Entwicklungen: Zu Beginn haben die Winzer kolossal-wuchtige Weine mit viel Holz produziert, die schwerer als gewisse Australier waren. Jetzt wechseln  sie ins andere Extrem und erzeugen oft dünne, unreife, säuerliche Rotweine. Diese Entwicklung gibt es beispielsweise auch im spanischen Priorat und in anderen Gegenden. Das nennen sie dann den «burgundischen Stil mit Terroir». Wie so oft liegt die Wahrheit vermutlich in der Mitte. Im Bordeaux wächst jetzt eine Winzergeneration heran, die auf relativ unbekannten Lagen sehr gute Weine hervorbringt. Für die Zukunft sollte man die Weine hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang nicht vernachlässigen. Das Potenzial etwa in Georgien mit Hunderten von autochthonen Rebsorten ist riesig, die Infrastruktur bis jetzt leider nicht. Ich bin dort im Moment mit dem ehemaligen georgischen Landwirtschaftsminister an einem Projekt. In der Thrakischen Tiefebene in Bulgarien lassen wir auf dem Weingut eines Freundes durch Stephan von Neipperg eine schöne Cuvée abfüllen, und auch die Krimhalbinsel besitzt ein fantastisches Klima für Rotweine. 

Wie steht es etwa um das Burgund oder die Champagne?

Die alten Burgunder, oft mit Châteauneuf angereichert und noch mit konzen-trierten Trauben von ungedüngten Reben, waren umwerfend. Dann folgte der Niedergang in den 1970er- und 1980er-Jahren. In den 1990er-Jahren steigerte sich die Qualität der Burgunder wieder enorm. Seit allerdings die Asiaten das Burgund entdeckt haben, bewegen sich die Preise für Normalverdiener in unerschwinglichen Höhen. In der Champa-gne hat sich der Trend zu qualitativ hochwertigen Winzerchampagnern be-schleunigt, und man kann grossartige Sachen zu tiefen Preisen entdecken. Fabrice Pouillon erzeugt beispielsweise köstliche Champagner. Doch auch in der Champagne gibt es eine Plage: Viele un-terbinden den biologischen Säureabbau, müssen dadurch mehr schwefeln und setzen zu wenig Dosage ein. Das führt dazu, dass die Schaumweine sauer und ziemlich garstig schmecken. Die «Kenner» nennen das dann «puristisch».

Wer Champagner mag, sollte auch Richtung Norden schauen. Tatsächlich. Eine spannende Entwicklung gibt es im Süden von England. Dort sind die Kalkformationen die gleichen wie in der Champagne, und die Qualität der seit einiger Zeit gekelterten Schaumweine ist überraschend hoch. Viele Champagnerfirmen haben sich dort be-reits Böden gekauft, weil durch die Klimaerwärmung gute Resultate erzielt werden, sofern die Erträge tief gehalten werden. Ich serviere beispielsweise gerne Coates & Seely, den ich als spannende Alternative zum Standardchampagner auftische. Die Gäste sind dann sehr erstaunt. 

Sie arbeiten seit über 30 Jahren im Wein handel. Wie hat sich dieser verändert?

In den 80er-Jahren führten die traditionellen Weinhandlungen vor allem französische Weine. Dann wurde man langsam auf Italien aufmerksam, und vielleicht lag im Kuriositätenkabinett zufälligerweise noch ein Rioja. Danach entdeckte man die vollen Überseeweine. Auch ich war damals total begeistert und sagte mir, je üppiger, desto besser. Viele dieser Weine haben sich aber nicht durchgesetzt, weil sie zu dick und mastig sind und auch schnell langweilen. Es gibt natürlich exzellente Überseeweine. Wir führen allerdings keine und hatten deswegen noch nie eine Beschwerde eines Kunden.

Wie hat sich der Geschmack der Konsumenten verändert?

Die Leute verlangen wieder vermehrt klassische Weine, Fruchtbomben sind teils immer noch beliebt, aber doch eher wieder im Abwärtstrend. Allerdings gibt es die sehr bedenkliche Entwicklung zu den Rotweinen mit Restzucker, ich nenne sie «Fanta-Weine». Das ist sehr bedauerlich, insbesondere, dass nicht deklariert werden muss, dass der Wein viel Restzucker enthält. Viele Konsumenten fallen auf die vermeintlich schmeichelnd-fruchtigen Weine herein. Generell kommen die Weinliebhaber von den verbreiteten Traubensorten wie Cabernet und Merlot etwas weg und favorisieren regionale Weine aus den jeweils heimischen Sorten. Die Qualität der Schweizer Weine hat zudem massiv zugelegt.

Sie sind der erste Master of  Wine der Schweiz. Was hat Sie bewogen, sich damals dieser Herausforderung zu stellen?

Wein ist mein Hobby, seit ich 16 Jahre alt bin. Wenn ich etwas mache, mache ich es richtig oder gar nicht. Aber offen gestanden rechnete ich nicht damit, dass ich die Prüfung schaffen würde. Ich fand es einfach spannend und dachte, ich könne mich ja mal anmelden. 

Was fasziniert Sie an Wein?

Geschmackliche Empfindungen sind für mich wichtig. Ich stänkerte schon als kleines Kind, wenn mir das Essen nicht passte, etwa beim Babybrei. Guter Wein ist geschmacklich eine Herausforderung, eine grossartige Unterhaltung und bereitet mir enorm Spass. Wenn ich zu Verkostungen eingeladen werde, bin ich  immer mit Abstand am schnellsten. Degustieren ist für mich glücklicherweise nicht anstrengend, sondern sogar entspannend. Beobachte ich dann die verkrampften Gesichter der anderen Degustierenden, bin ich mir oft nicht sicher, ob es denen gleich wie mir geht. 

 Philipp Schwanders Lieblingsrestaurant

«Ich habe viele, da ich sicher einmal pro Tag auswärts essen gehe. Deshalb mag ich Schischi-Küche nicht so. Es gibt hervorragende Sterne-Köche, aber es gibt auch solche, die sich mit vermeintlich kreativen, aber nicht besonders schmackhaften Gerichten ein Denkmal setzen wollen. Es ist bei diesen Köchen wie bei manchen Innendekorateuren: Sie stellen sich und nicht das Produkt in den Vorder-grund. Sehr gerne gehe ich zum Beispiel in den Gasthof Faktorei in Bäch SZ. Dort gibt es herrlich schmackhafte, einfache Fischgerichte. Das Ehepaar Büeler betreibt das Restaurant übrigens seit 1959 mit grossartiger Hingabe.» 

WELCHEN WEIN ZU WELCHEM ESSEN?

Philipp Schwander empfiehlt zu einem: 

Salat: ein Glas Wasser, zur Not einen kräftigen Viognier aus Condrie

Süsswasserfisch: Wieso nicht einen hervorragenden Chasselas? Mittler-weile gibt es viele köstliche Bei-spiele, übrigens auch im Badischen in Süddeutschland.

Pasta mit Pilzen: ein Arneis von Vietti oder einen kräftigen weissen Rhonewein, zum Beispiel den Deux Albion von St-Cosme: Ich als Pinot- Fan würde vermutlich einen Blaubur-gunder Alte Reben von Bernhard Huber aus Malterdingen im deut-schen Breisgau entkorken. 

Thai-Curry: einen kräftigen Grünen Veltliner, beispielsweise den «Terra Mobile» von Oskar Hager aus dem Kamptal, notfalls auch einen schwe-ren Barossa-Shiraz.

Rindsfilet: einen schönen Bordeaux oder aber den Top-Wein von Château Barka aus dem Libanon

Käseauswahl mit Hart- und Weich-käse: Sauternes oder ein hochste-hender Moscato. Ebenfalls passend: eine kräftige deutsche Riesling-Auslese.

Mousse au Chocolat: Einen Vintage Port und für Risikofreudige einen schweren Amarone.

 

«Grundsätzlich sollte man sich nicht zu sehr beeinflussen lassen. Spass macht, was gefällt! Also bitte völlig entspannt an die Weinauswahl gehen.»