Text Mathias Morgenthaler
Allzu sehr jubeln mag Dominic Blaesi nicht. Ja, es laufe gerade sehr gut, aber viele Partner würden die härteste Zeit seit Jahren durchmachen, sagt der Ökonom, der vor 13 Jahren mit Renzo Schweri das Weinportal Flaschenpost lanciert hat.
Schwierig ist es für jene Weinhandlungen, die stark auf das Gastgewerbe ausgerichtet sind. Für Blaesi und Schweri, die von Anfang an auf Privatkunden fokussierten, geht die Rechnung dagegen voll auf. Jahr für Jahr ist Flaschenpost um mindestens 20 Prozent gewachsen, im letzten Jahr zählte das junge Unternehmen 70'000 Kunden und knapp über eine Million ausgelieferter Flaschen.
Dann kam Corona - und mit der Zwangsschliessung von Läden und Lokalen ging das Geschäft durch die Decke. «Die Verkäufe haben sich im Frühling verdreifacht im Vergleich zum Vorjahr», sagt Blaesi. «Weil die Menschen nicht mehr ins Restaurant gehen konnten, bestellten sie sich mehr Wein nach Hause - viele verabredeten sich auch uDas zu virtuellen Apéros mit Freunden oder schickten Mitarbeitern Wein ins Homeoffice.»
Für Kenner und Laien
Speziell die Verkäufe an über 65-jährige Kunden hätten stark zugelegt, sagt Blaesi, weil ältere Menschen früh dazu aufgefordert worden seien, zu Hause zu bleiben. 30'000 neue Kundinnen und Kunden hat Flaschenpost. im Corona-Jahr gewonnen. Der Umsatz dürfte laut Blaesi «um 80 Prozent oder mehr» über dem Vorjahr liegen. In Spitzenzeiten verschickt das fünfzigköpfige Flaschenpost-Team mehr als 10'000 Flaschen pro Tag.
Als grosse Plattform mit 30'000 Weinen im Angebot richtet sich Flaschenpost nicht nur an Weinkenner, sondern auch an Laien, die erst herausfinden wollen, was sie gerne mögen. So hilft ein Algorithmus dem Besucher der Website, den passenden Weintyp zu finden und diverse Varianten kennen zu lernen.
Karl Schefer, Gründer und Geschäftsleiter des Biowein-Pioniers Delinat, berichtet ebenfalls von einem ausserordentlichen Jahr. «Im Frühling war die Nachfrage im Webshop gut 50 Prozent höher als im Vorjahr», sagt er. Da sei es zu Lieferengpässen gekommen. Glücklicherweise habe Delinat vielen Winzern weitere Bestände abkaufen können. So hätten Zehntausende von Flaschen, die für das Gastgewerbe bestimmt waren, zusätzlich ab gesetzt werden können. Fürs Gesamtjahr rechnet Schefer mit einem Plus von gut 20 Prozent. Die Schwankungen sind bei Delinat geringer, weil die Hälfte des Umsatzes mit einem seit dreissig Jahren etablierten Abo-Modell erzielt wird. Beim Geschäft über den Webshop habe Delinat davon profitiert, «dass Kunden sich in der Corona-Zeit stärker für Gesundheitsthemen interessieren». Die Biowein-Nische sei dadurch gewachsen.
Philipp Schwander, erster Master of Wine der Schweiz, spricht vom «besten Jahr seit der Firmengründung vor 17 Jahren». Schwander, der ebenfalls deutlich über eine Million Flaschen pro Jahr absetzt, rechnet für dieses Jahr mit einem Umsatzplus von rund 30 Prozent.
Im Frühling habe er befürchtet, die Leute würden jetzt sparen und ihre Kellerbestände auf brauchen. Doch die Bestellungen hätten im Gegenteil rasch angezogen. «Viele Kunden nehmen sich nun mehr Zeit fürs Kochen und möchten zum Essen einen guten Wein trinken - zudem sparen sie Geld, weil die Ausgehmöglichkeiten beschränkt sind.»
Aperos schon vor dem Mittag
Und vielleicht würden manche den Wein auch dazu nutzen, die schwierige Situation besser zu ertragen, ergänzt der 55-Jährige. Auffällig oft habe er in diesem Jahr Bilder zugeschickt erhalten von Apéros deutlich vor der Mittagszeit.
Schwander, der beim Verkauf lange Zeit fast ausschliesslich auf den Versand von Prospekten gesetzt hat, spricht nun auch über einen modernen Webshop neue Kundschaft an. «Wir hatten mehr Glück als Verstand, dass unser neuer Internetauftritt kurz vor dem Lockdown fertig wurde.» Deshalb wisse er nicht genau, ob die vielen Neukunden auf Corona oder die erhöhte Webpräsenz zurückzuführen seien.