Alter Rebstock - Junger Wein: Artikel in der NZZ am Sonntag, Wein und Genuss vom 12. September 2021

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Das spanische Priorat mit einer Rebfläche von nur 2500 Hektare ist ein Anbaugebiet der Extreme: Hohe Temperaturen und viel Trockenheit begleiten den Weinbau. Angesichts dieser klimatischen Voraussetzungen sind nördliche Lagen in der Höhe weitaus gefragter als Weingärten mit südlicher Ausrichtung. Dass das Priorat bereits im Mittelalter eine Region für Spitzenweine war und es auch heute wieder ist, weiss natürlich auch der Weinhändler und Master of Wine Philipp Schwander. Er ging das Wagnis ein und kaufte vor einigen Jahren einen kleinen, aber feinen Rebberg. Nicht irgendeine Anlage, sondern eine der besten Lagen des Priorats im Mas d’en Caçador: Sie ist mit 500 Metern über Meer relativ hoch gelegen und hauptsächlich gegen Norden ausgerichtet. Die Rebstöcke wurden 1904 gepflanzt, haben inzwischen also ein geradezu biblisches Alter. Sie wachsen auf mageren, felsigen Böden über Schiefergestein und Quarz, in dieser Region Ilicorella genannt. In den steilen Terrassen ist mechanisierte Bewirtschaftung so gut wie unmöglich.

Schwanders Rebberg ist mit zwei Sorten bestockt, die untrennbar mit dem Priorat verbunden sind. Zwei Drittel der Fläche bestehen aus Garnacha (Grenache), ein Drittel aus Carinena (Carignan). Das hohe Alter führt automatisch zu äusserst geringen Erträgen. Aus den zwei Hektaren werden jährlich nur 2000 bis 2500 Flaschen gekeltert. «Wir verwenden für den Wein lediglich die besten Partien», sagt Philipp Schwander. Sein Ziel ist ehrgeizig: Er will eines der besten Gewächse im Anbaugebiet produzieren. Dafür scheut der Master of Wine keinen Aufwand. Er kann auf den Spitzengrossen Önologen Fernando Zamora zählen. Letzterer ist Geburtshelfer der meisten berühmten Priorat-Weine und Professor für Önologie in Tarragona. Schwanders Rolle besteht vor allem darin, sicherzustellen, dass wirklich nur das Beste abgefüllt wird und der Stil des Weines mit dem Namen «Sobre Todo» stimmt. Es liegt in der Natur der Sache, dass aus dem heissen Priorat tendenziell eher kräftige, wuchtige Weine kommen. Dessen ist sich auch der Schweizer Weinhändler bewusst: Trotzdem will er einen Cru keltern tern, der sich durch Tiefe, Komplexität und Eleganz auszeichnet. Handkehrum hält er wenig von der derzeitigen Mentalität im Priorat, eher burgundische, also eher leichtere Weine zu erzeugen. «Das entspricht nicht dem Wesen des Gebiets und der Natur der Weine im Priorat.»

Schwanders Wein, vom Magazin «Falstaff» mit 98 von 100 Punkten bewertet, dürfte gegen Ende des Jahres auf den Markt kommen, wobei wohl zuerst der offenere Jahrgang 2016 lanciert wird und später der Erstling 2015. Der Preis steht noch nicht fest, liegt aber im dreistelligen Bereich (Anfragen über www.selectionschwander.ch). Der Sobre Todo wird drei Jahre lang in Barriques und grossen Holzfässern ausgebaut. Schwander begründet die lange Reifezeit damit, dass die Wucht des Weins gemildert und eine grössere Komplexität geschaffen werde. Wer den Master of Wine kennt, weiss, dass er sich nicht mit halben Sachen zufriedengibt.

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