Schwanders Epfehlung: Bordeaux 2007, NZZ am Sonntag, 10. April 2008

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TEXT PHILIPP SCHWANDER

Immerhin: Selbst die grössten Zweckoptimisten trauten sich heuer nicht, beim Bordeaux 2007 von einem grossen Jahrgang zu sprechen. Dies ist bemerkenswert. Wir erinnern uns: Hätten wir den Auguren und Wein-Gurus leichtfertig geglaubt, wären im Zeitraum von 2000 bis 2005 nicht weniger als drei Jahrhundertjahrgänge verbucht worden. Eine Glanzleistung, die kein anderes europäisches Weinbaugebiet für sich reklamiert hatte − obwohl das Wetter mancher Regionen nicht sonderlich von demjenigen im Bordelais abwich!

Der 2000er zeigt sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als sehr schöner, aber keinesfalls überragender Jahrgang. Manche Weine lassen etwas Opulenz vermissen. Der 2003er, von der Sonne im Übermass verwöhnt, trinkt sich bereits erfreulich, dürfte aber kaum je wirklich gross werden. Einzig der 2005er, von gewissen als «année mythique» deklariert, scheint das zu sein, was der Volksmund einen ausgezeichneten Jahrgang nennt.

Viel Pilzbefall

Wenden wir uns also dem 2007er zu, den einige Händler als «guten» Jahrgang sehen wollen. Eine derart euphemistische Einstufung erinnert an die von gewissen Hotels verteilten Bewertungsfragebogen: «Fanden Sie unser Hotel ‹ausgezeichnet›, ‹grossartig› oder schlicht ‹superb›?» Sprechen wir es offen aus: 2007 war im Bordelais ein schwieriges Jahr mit sehr vielen Herausforderungen. Einigen Produzenten gelang es, diese bravourös zu meistern. Eine ansehnliche Zahl kelterte immerhin respektable Gewächse, aber eine Mehrheit erzeugte Weine, die in einigen Jahren zu Recht als Sonderangebot im Supermarkt enden werden. Wie immer hilft es, den meteorologischen Verlauf der Vegetationsperiode zu studieren, denn nur so verstehen wir letztlich, welche Art von Weinen zu erwarten sind. Es lässt sich nicht wegdiskutieren: 2007 besitzt gewisse Ähnlichkeiten mit dem bescheidenen 2002er. Beide Jahre hatten einen schlechten Sommer mit sehr wenig Sonne. Und beide erfreuten sich eines schönen Septembers. April 2007 war der wärmste seit Jahrzehnten mit Tagestemperaturen von über 25 °C. Leider förderte der regnerische Mai schnell die Ausbreitung des Falschen Mehltaus, einer Pilzkrankheit, welche die Blätter und andere grüne Teile der Rebe befällt und im schlimmsten Szenario einen totalen Ernteausfall bewirkt.

Die Blüte begann bereits Mitte Mai, zwei Wochen vor dem langjährigen Durchschnitt. Die extremen Temperaturunterschiede – teilweise war es warm, dann wieder sehr kühl – verursachten vor allem im Médoc Verrieselung (Abfallen von Blüten oder jungen Beeren) und insgesamt einen heterogenen Zustand der Vegetation. Ein treuer Begleiter bis Ende August blieb auf Grund des steten Nieselregens der Falsche Mehltau, der trotz massivem Einsatz von Fungiziden sehr schwierig in den Griff zu bekommen war. Gerade die einfacheren Betriebe, die sich den Einsatz dieser Mittel nur begrenzt leisten konnten, verloren so einen beträcht-lichen Teil ihrer Ernte.

Herrlicher September

Selbst im Juni und Juli zeigte sich die Sonne nur selten, wenn auch die Niederschläge nicht überdurchschnittlich waren. Die qualitätsorientierten Betriebe versuchten durch teilweises Entfernen der Blätter die Durchlüftung zu ver-bessern und die Trauben mehr dem Sonnenlicht auszusetzen. Der Farbumschlag der Beeren (véraison) setzte Mitte Juli ein; er verlief allerdings sehr unregelmässig und zog sich bis weit in den August hinein.

Wer über die Mittel verfügte, führte nun eine strenge Grünlese durch, um die einzelnen Parzellen in ihrem Reifezustand zu homogenisieren und durch den geringeren Behang eine bessere Ausreifung der noch verbliebenen Trauben zu ermöglichen. Wer dies unterliess, riskierte Probleme bei der Lese, weil die reifen Trauben während der Ernte nur noch schwer von den unreifen zu unterscheiden sind. Viele Winzer hofften im August auf eine Wende, die seinerzeit den Jahrgang 2000 gerettet hatte. Das Gegenteil trat ein: Das Médoc verzeichnete 110 mm Regen, fast das Doppelte der Norm. Die sintflutartigen Regenfälle am 20. und 29. August 2007 setzten gewissermassen den Schlusspunkt, und zahlreiche Winzer schrieben den Jahrgang definitiv ab.

Dann geschah ein kleines Wunder. Wie 1978, 2002 und 2004 war der September schön. Ab 30. August sorgte ein Hochdruckgebiet wäh-rend fast zweier Monate für Bilderbuchwetter. Eine konstante, relativ kühle Nordostbrise bewirkte bei den führenden Châteaux ein schnelles Abtrocknen und Gesunden der Trauben. Wer vorher den Falschen Mehltau und die Erträge nicht in den Griff bekommen hatte, sah sich genötigt, weit vor Erreichen der Reife zu lesen, wollte er nicht faule Trauben einbringen.

Wenig Reife

Die Weingüter im Libournais, insbesondere in St-Emilion und Pomerol, profitierten dagegen von der früheren Blüte und homogeneren Reife. Sie ernteten bis weit in den Oktober hinein. Die besten Betriebe erzielten Weine, deren Qualitätsniveau irgendwo zwischen 1999 und 2001 anzusiedeln ist. Einfach war dies allerdings nicht. Im Médoc waren zahlreiche Châteaux gezwungen, bereits im September zu lesen. Aber auch jene, die bis in den Oktober warteten, er-reichten vielfach nicht die notwendige Reife. Durch die späte Lese sank ausserdem die Säure, und der pH-Wert stieg, was die Weine instabiler und weniger haltbar macht. Die Kraft der Sonne ist im Herbst zudem eine völlig andere als im August oder Juli. Regen Ende September und höhere Temperaturen Anfang Oktober brachten allerdings den Sauternes-Weinbauern ideale Bedingungen für die Edelfäule. Sie ernteten denn auch in mehreren Durchgängen erfreulich gelungene Süssweine.

Bei der Degustation der Primeur-Muster zeigte sich schnell, dass auch ein schöner September einen missratenen Sommer nicht wettmachen kann. Einige englische Händler mit handfesten kommerziellen Interessen sprachen von charmanten Weinen im Stil von 1997 und 1999. Gerade im Médoc konnten wir aber nur wenige Gewächse entdecken, die dieser Beschreibung gerecht wurden. 1997 war der August zwar feucht, doch heiss, und 1999 regnete es wohl sehr stark im September, dafür waren Juni, Juli und August sonnig. Der Vergleich mit 2002 ist daher nicht allzu weit hergeholt.

Theoretisch müssten die 07er ein bisschen hochwertiger ausfallen, weil der überdurchschnittliche April für einen deutlichen Vegetationsvorsprung sorgte und das schöne Wetter im Herbst zwei Wochen früher als 2002 einsetzte. Tatsächlich wurden im Libournais recht gute Weine erzeugt. Gewisse Winzer sind denn auch zuversichtlich, mindestens die Qualität des 1999ers erreicht zu haben. Im Médoc dagegen präsentierten sich zahlreiche Weine alles andere als vorteilhaft. Es fiel auf, dass viele Weine recht dünn waren, grünliche, unreife Aromen aufwiesen und trotz etwas tieferer Säure ziemlich roh und unreif schmeckten. Zwar betonen die Verantwortlichen vieler Châteaux, mit welcher Sorgfalt man ans Werk gehe. Und es gibt in der Tat viele, die seit einigen Jahren sehr gewissenhaft arbeiten. Wer allerdings während der Ernte einen Rundgang machte, erlebte hin und wieder – wie im Fall von Beychevelle –, dass dann teilweise doch überraschend nachlässig gearbeitet wurde.

Eine akribische, sorgfältige Rebbergs-Arbeit, tiefe Erträge und eine Lese, welche die optimale Reife jeder individuellen Parzelle berücksichtigte, erbrachte auf Palmer einen recht substanzreichen, gelungenen Wein mit lediglich 12,5% Alkohol. Nur 40 Prozent der Ernte des «grand vin» wurde für würdig befunden. Auf Château Margaux erachtete Paul Pontallier gar nur 32 Prozent für gut genug und deklassierte den Rest zu Zweit- und Drittwein. Pontallier gibt freimütig zu, dass er noch nie ein grosses Jahr mit einem schlechten August erlebt habe. Margaux schien denn auch momentan recht leicht und harmlos. Prieuré-Lichine war überra-schend fruchtig, und auch der im Stil moderne Lascombes überzeugte mit einer anständigen Konzentration. Von fast Burgunderähnlicher Eleganz zeigte sich Brane-Cantenac.

Ausgezeichneter Mouton

Das sonst mustergültige St-Julien hat schon aufregendere Weine geboten. Léoville-Las Cases, üblicherweise der Star der Appellation, machte einen ziemlich strengen, unnahbaren Wein. Nicht wirklich besser, aber deutlich freundlicher waren Léoville-Barton und Léoville-Poyferré. Dagegen besassen Ducru-Beaucaillou und Gruaud-Larose zwar weniger Körper, schmeichelten aber mit einem gewissen Charme.

In Pauillac gefiel Mouton-Rothschild mit Abstand am besten: ein dichter, nobler, komplexer Wein. Hervé Berland, der Direktor der Mouton-Domänen, erläuterte, es sei die kleinste Mouton-Menge seit 1969, die Erträge hätten bei lediglich 30 hl/ha gelegen. Virile, stoffige Weine von hoher Qualität erzeugten Pichon-Baron und Pontet-Canet. Latour schmeckte vorerst eckig, säurebetont und recht unfreundlich. Wir fühlten uns eindeutig mehr an eine zwinglianische Dorfkirche als an eine prächtige Barock-Kathedrale erinnert! Lafite kelterte einen charmanten Zweitwein Carruades und einen sehr kompakten, noblen «grand vin», dem allerdings das Quentchen Reife fehlte, um in die Kategorie von Mouton vorzustossen. Uneinheitlich schienen indes die übrigen Weine der Appellation.

Eine wahre Freude war unser Besuch auf Cos-d'Estournel. Jean-Guillaume Prats und seine Equipe brachten zweifellos einen der besten 2007er hervor, maskulin, erstaunlich massiv und sehr distinguiert. Nicht ganz so gut, aber gleichfalls bemerkenswert war Montrose, das 2006 der Grossindustrielle und Sarkozy-Intimus Martin Bouygues kaufte. Es wird seit kurzem von Jean-Bernard Delmas geleitet, dem legendären ehemaligen Direktor von Haut-Brion. Delmas betonte, dass er seine Aufgabe vor allem darin sehe, das hervorragende Potenzial des Weinguts durch eine sorgfältigere Arbeit im Rebberg auszuschöpfen. Sehr anerkennenswert ist auch die Leistung von Haut-Marbuzet; Phélan-Ségur dagegen wirkte etwas streng.

Gute Graves-Weine

Aufgrund des wärmeren Wetters hatten die Produzenten der Appellation Graves einen Vorteil gegenüber dem Médoc. Wie gewohnt zählten Haut-Brion und La Mission zu den führenden Weinen. Auf dem Château stuft man den noch im Barriques liegenden 07er ähnlich wie den 04er ein; man ist heuer mit dem Cabernet zufriedener als mit dem Merlot. Zum Zeitpunkt der Degustation gefiel La Mission etwas besser als Haut-Brion. Beide Weine verfügten über eine ansprechende Reife und Kraft. Auch der Zweitwein von Haut-Brion, der jetzt neu «Cla-rence de Haut-Brion» heisst, machte eine gute Figur. Pape-Clément dürfte in die Kategorie von Haut-Brion gehören. Der Wein zeigte sich während der Primeur-Degustation wuchtig und komplex. Recht gut gelungen sind auch Haut-Bailly und Smith-Haut-Lafitte sowie das preis-werte Château Brown.Insgesamt überzeugten die Merlot-dominierten Weine des Libournais mehr als jene des Médoc, wo der Cabernet Sauvignon bedeutend ist. Auch scheinen sich glücklicherweise die meisten Produzenten die verbreitete Unsitte einer zu starken Extraktion abgewöhnt zu haben. Zahlreiche Weine waren harmonisch, ohne harte, präsente Gerbstoffe aufzuweisen. Das eine frühe Reife begünstigende Terroir Pomerols spielte in diesem sonnenarmen Jahr seine Trümpfe aus. Die Appellation wirkte durchwegs recht homogen. Alexandre Thienpont zeigte uns einen eleganten, sehr charmanten, fruchtbetonten Vieux-Château-Certan. Kräftig, aber noch jugendlich war Eglise-Clinet, Evangile beeindruckte durch seine feminine Geschmeidigkeit. Gazin, das in der Nähe von Pétrus liegt, überraschte mit einem sehr guten, muskulösen Wein.

Auch Figeac und La Tour Figeac in St-Emilion zeigten Klasse. Durchs Band gefielen die verschiedenen Weine von Stephan Graf von Neipperg. Allen voran der kostspielige Garagenwein La Mondotte, aber auch Canon-la-Gaffelière stand ihm kaum nach. Die Weine von Gérard Perse (Pavie, Bellevue-Mondotte, Pavie-Decesse, Monbousquet usw.) waren weniger überextrahiert als noch 2006. Wir degustierten die Provenienzen zweimal. Einmal mit recht gutem Ergebnis, das andere Mal – auf dem Château – mit weniger Begeisterung.

Ein bemerkenswerter Wein gelang Alain Vauthier von Ausone, konzentriert, komplex und ohne trocknende Gerbstoffe. Auch Cheval-Blanc präsentierte sich gut, wenn auch nicht auf gleichem Niveau. Dagegen wurde der grünlich-unreife Zweitwein Petit-Cheval seinem Namen vollauf gerecht und scheint eher als Begleiter zu einem sommerlichen Gurkensalat als zu einem noblen Entrecôte bordelaise zu passen! Sehr überzeugend sind die Sauternes ausgefallen, obwohl die Grösse des legendären 2001ers nicht erreicht werden dürfte. Eindeutig der beste Dessertwein ist der teure Yquem, der durch eine delikate Süsse und eine herrliche Säure zu begeistern vermag.

Zu hohe Preise

Legte man den Preis allein aufgrund der Qualität des Jahrganges fest, unabhängig von der derzeitigen Nachfrage, dürften die 2007er das Preisniveau der 2004er auf keinen Fall überschreiten. Weil die Lager bei den Négociants ziemlich erschöpft sind und die asiatischen und russischen Märkte boomen, erscheint ein markanter Preisnachlass zum jetzigen Zeitpunkt allerdings unwahrscheinlich. Länder wie die USA – der Dollar büsste gegenüber dem Euro im letzten Jahr rund 15 Prozent an Wert ein – treten daher kaum als Interessenten dieses doch weniger gelungenen Jahrgangs auf. Dies gilt auch für Grossbritannien und die Schweiz.

Sämtliche Premiers Crus, einige Sauternes und die wenigen anderen gefragten Weine wie beispielsweise Cos-d'Estournel und Pape-Clé-ment werden ohne Zweifel ihre Abnehmer finden. Bei den restlichen Weinen sind die Négociants zum Kauf gezwungen, möchten sie nicht ihre Zuteilungen verlieren. Sie werden diese 2007er höchstwahrscheinlich nach ihrer Füllung an Supermärkte verscherbeln. So ist bei den meisten Weinen eine Subskription wenig sinnvoll, weil es sich hier nicht um ein spekulatives Jahr handelt. Wie sich gezeigt hat, können gerade von kleinen Jahrgängen zu einem späteren Zeitpunkt immer wieder sehr gelungene Weine zu vernünftigen Preisen erstanden werden. 

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