Schwanders Epfehlung: Bordeaux 2005, NZZ am Sonntag, 30. April 2006

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TEXT PHILIPP SCHWANDER

Der Bordeaux 2005 wird ein sehr guter Jahrgang mit vereinzelten Stars, so das aktuelle Urteil des Schweizer Master of Wine, Philipp Schwander

10. April 2006 im Bordelais: Wir nehmen einen der ersten Degustations-Termine auf einem berühmten Château wahr und probieren den 2005er: Euphorie herrscht. Man spricht nicht mehr von einem Jahrhundertjahrgang, zu abgegriffen ist dieser Terminus bereits – nein! – «une année mythique» wurde geboren! Die Vorschusslorbeeren scheinen den Produzenten Recht zu geben. Obwohl nie jemand diese Weine in ihrer Jugend probierte, wird der 2005er mit den besten Jahrgängen verglichen: 1961, 1945, 1928, bis 1870 zurück reicht die Liste der Jahrgänge, die bemüht werden. Fast gewinnt man den Eindruck, die Häufigkeit der sogenannten Jahrhundertjahrgänge steige mit den grösser werdenden, immer prunkvolleren Kellern und Empfangsräumen an.

Auch wenn man es nicht wahrhaben will: Die Zeiten im Bordelais haben sich geändert.

Wurde man in den achtziger Jahren noch vom Patron empfangen, der mit seiner Familie ein Château führte, treten heute zunehmend Manager in Erscheinung, die in luxuriösen Degustationsräumen den Lobgesang auf den neuen Jahrgang anstimmen und in Abhängigkeit vom erzielten Verkaufspreis ihren Lohn beziehen.

Wir erinnern uns: Welch fabelhafte Geschichten sind uns doch aufgetischt worden beim 2003er. Endlich einmal genügend Sonne!

Ein Jahrhundert-Jahr! Du jamais vu! Mittlerweile geben viele Winzer zu, dass es doch ein recht schwieriges Jahr gewesen sei, viel zu heiss und dass der Ruhm zahlreicher dieser «Jahrhundertweine» wohl bereits nach einem Jahrzehnt verblasst sein dürfte. Fast schon rührend mutet Jean-Luc Thunevins Äusserung an, dass die Bezeichnung «Jahrhundertjahrgang» für den 2005er dieses Mal wirklich zutreffe. Ehrlich!

Wir lassen das Jahr 2005 meteorologisch Revue passieren, um den Charakter seiner Weine zu verstehen. Seit dem Frühjahr 2003 waren die Niederschläge im Bordelais sehr bescheiden. Dies sollte sich auch während des ganzen Jahres 2005 nicht wesentlich ändern. So musste die Rebe mit 470 mm Niederschlag gegenüber durchschnittlich 950 mm in einem normalen Jahr auskommen. Der Austrieb erfolgte im Gegensatz zu den Jahren 1989 und 1990 spät und wurde durch kühle Nächte verlangsamt.

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GrosseTrockenheit

Der April war warm und feucht. Tatsächlich lag die Regenmenge nur im April über dem langjährigen Durchschnitt. Den Mai prägten Wärme und Trockenheit. Mit 16 mm gegenüber 83 mm lagen die Niederschläge erschreckend tief.

Bereits am 27. Mai wurden über 33 Grad Celsius gemessen, die zweithöchste Temperatur seit 1922. Die Blüte verlief weniger homogen als erhofft, und besonders beim Merlot führte Verrieselung zu einer frühzeitigen Reduktion der Erträge. Im Juni, der sogar trockener als 1947 war, wurden bereits hochsommerliche Temperaturen gemessen. Selbst in diesem Monat fiel nur die Hälfte der üblichen Regenmenge.

Im Juli herrschten zum Glück moderate Temperaturen, aber auch in diesem Monat musste die Rebe mit der Hälfte der sonst üblichen Niederschlagsmenge auskommen. Hagel verursachte Ende Juli an den Cˆotes und auf dem Plateau von St-Emilion leichte Schäden. Der 17. und der 25. August brachten ein bisschen Regen.

Ohne diese Niederschläge wäre eine Katastrophe eingetreten. Der nicht besonders heisse August und kühle Nächte sorgten dafür, dass die akuten Probleme aufgrund der anhaltenden Trockenheit nicht eskalierten. Hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zum 2003er, dessen Trauben im August regelrecht gekocht wurden. Der permanente Wassermangel und die gemässigten Temperaturen ergaben 2005

kleine Beeren mit dicken Schalen, sehr wenig Saft und einer guten Säure. Der potenzielle Alkoholgehalt war so hoch wie selten zuvor; nach der Vergärung wurden bei zahlreichen Merlots

über 15 Prozent Alkohol gemessen. Die Temperaturen im September entsprachen dem Durchschnitt.

Glücklicherweise fiel vom 8. bis 13. September etwas Regen. Die Nächte blieben häufig kühl, aber das schöne Wetter hielt sich bis Mitte Oktober. Bordeaux hatte seinen Bilderbuch-Herbst und kerngesunde Trauben, allerdings

mit einem entscheidenden Makel: viel zu wenig Wasser während der Wachstumsperiode.

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Viel Tannin, viel Alkohol

Insgesamt erbrachte die Ernte 5,9 Mio. hl gegenüber 6,5 Mio. hl im langjährigen Durchschnitt. Sie lag damit nur 3% unter dem Ertrag des Jahres 2000. Ein zuverlässiges Indiz für das gute Potenzial des Jahrgangs ist die sehr ansprechende Qualität auch der einfacheren Weine. Wegen der Trockenheit musste zudem kaum gegen Pilzkrankheiten gespritzt werden. Bloss die rasant steigenden Zuckerwerte bereiteten vielen Produzenten Sorge. Manche önologische Station warnte vor zu hohen Alkoholwerten. Dies mag den einen oder anderen Winzer zu einer verfrühten Lese verleitet haben. Auf Pétrus begann die Ernte bereits am 7. September, dagegen beendete die Equipe von Pavie die Lese erst am 7. Oktober. Für die Merlot-Traube ist dies ein ungewöhnlich breites Zeitfenster, weil Unreife, Reife und Überreife stets sehr nahe beieinander liegen. Generell sind die 2005er Weine von strengem, tanninreichem Charakter, obwohl die durchwegs sehr hohen Alkoholwerte eigentlich zugänglichere Weine erhoffen liessen.

Stilistisch dürfte der Charakter der 2005er auf einem höheren Niveau den Jahrgängen 1986 und 2000 nahe kommen – dies im Gegensatz zu den geschmeidigen, üppigen Jahren wie 1989, 1990 oder 2003. Bezeichnend sind zudem die frische, keinesfalls überreife Aromatik, die markante Frucht und die gute Säurestruktur. Eine zuverlässige Einschätzung ist zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings kaum möglich, selbst wenn zahlreiche Journalisten dies mit präzisen Noten glaubhaft machen möchten.Wie es ein berühmter Produzent jedoch formulierte – ohne genannt sein zu wollen: Es gab 2005 kaum schlechte Weine, aber es finden sich nicht viele wirklich herausragende.

Die Gründe dürften einerseits in der anhaltenden Trockenheit zu suchen sein, die auch in anderen Regionen wie beispielsweise dem Languedoc meistens harte Gerbstoffe hervorbringt.

Andererseits spielte die Wahl des Lese-Zeitpunkts eine wichtige Rolle. Es macht den Anschein, dass teilweise doch zu früh gelesen wurde. Die Kelterung der Weine bereitete – auch dies wurde nur hinter vorgehaltener Hand eingeräumt – mehr Probleme als erwartet. Der hohe Zuckergehalt der Trauben bewirkte, dass es manchmal schwierig war, den Zucker vollständig in Alkohol umzuwandeln. Restzucker, höhere flüchtige Säure und Probleme mit den wilden Hefen Brettanomyces respektive Dekkera waren recht häufig. Die Mazeration mit derart hohen Alkoholwerten könnte auch die Ursache für eine übermässige Extraktion bitterer Gerbstoffe gewesen sein. Eine kurze Maischegärung bei tiefen Temperaturen war in diesem speziellen Jahr besonders wichtig, damit der Wein nicht von den Gerbstoffen dominiert wurde. Aufkonzentriert wurde fast nie, auch eine Aufzuckerung erübrigte sich.

Uneinheitliches St-Emilion

Am wenigsten überzeugte die Appellation St-Emilion. Sicher hatte die empfindlichere Merlot-Traube 2005 schwierigere Voraussetzungen als der spät reifende Cabernet Sauvignon, der vom phantastischen Herbst profitierte. Viele Produzenten scheinen noch immer fest entschlossen zu sein, australischen und kalifornischen Weinen punkto Kraft und Wucht Paroli zu bieten. Anders ist nicht zu erklären, dass gerade in dieser Appellation überdurchschnittlich viele alkoholische, fast spritigeWeine mit bitteren Gerbstoffen entstanden sind. Ein Paradebeispiel im negativen Sinn dürfte das Gérard Perse gehörende Weingut Bellevue-Mondotte sein.

Aber auch sonst so erfolgreiche Weine wie Angélus waren zwar gut, insgesamt aber weniger beeindruckend als erhofft. Ausone ist ein weiteres Mal der Klassenprimus. Dieser Wein besass eine fast schwarze Farbe, war unglaublich dicht und vollgepackt mit Frucht und reifen Tanninen. Besitzer Alain Vauthier ist in jeder Hinsicht eine aussergewöhnliche Person, beseelt vom Wunsch, den bestmöglichen Wein zu keltern.

Bedenkt man, dass von seinem Gewächs nur etwa halb so viel wie von Pétrus produziert wird, dürfte absehbar sein, dass Ausone in naher Zukunft noch viel höhere Preise erzielen wird. Pierre Lurton von Cheval-Blanc erzeugte einen eleganten, sehr beeindruckenden Wein mit grosser Länge. Ob er mit dem superben 98er mithalten kann, wird sich erst weisen müssen.

Pomerol wirkte homogener und gelungener als St-Emilion. Auch weniger bekannte Weingüter wie Rouget und La Pointe reüssierten. Vieux Château Certan begeisterte mit Harmonie und Frucht. Alexandre Thienpont war übrigens einer der wenigen, der eine wohltuend realistische Einschätzung des Jahres vermittelte. Pétrus ist gut gelungen, ob er allerdings das Kaliber des 1989ers besitzt, dürfte fraglich sein.

Denis Durantou von L'Eglise-Clinet demonstrierte eindrücklich, wie heikel die Beurteilung von Fassproben ist. Er reichte uns zwei fast identische Partien Eglise-Clinet zur Verkostung, die eine mit einem pH-Wert von 3,63 (Mass für den Säuregrad), die andere mit 3,59. Der mildere Wein mit dem höheren Wert präsentierte sich viel harmonischer und fülliger. Durantou glaubt, dass die jetzt säurebetontere Variante in einigen Jahren wesentlich besser sein werde. Er ist auch überzeugt, dass sich das Klima gewandelt habe. Zwischen 1980 und 1999 habe er nur ein Jahr gehabt, das 13 Prozent natürlichen Alkoholgehalt ergab. Seit 2000 hingegen hätten all seine Weine einen natürlichen Alkoholgehalt von über 13 Prozent erreicht.

Graves mit guten Weinen

Die Graves-Region brachte einige grosse Weine hervor. An erster Stelle steht sicherlich Haut-Brion. Man ist überglücklich und betont, den bestenWein seit 1989 vinifiziert zu haben. Es ist ein viriler, überaus imposanter Wein mit 14 Prozent natürlichem Alkoholgehalt. Nur 45 Prozent der Ernte wurden für den «grand vin» verwendet.

Auch La Mission begeisterte durch seinen männlichen, massiven Charakter. Pape-Clément wirkte mit seinem wuchtigen Körper, aber den bitteren Tanninen etwas zwiespältig. Domaine de Chevalier bestätigte die gute Form der letzten Jahre.

Das Médoc zeigte sich überzeugender als das Libournais. So produzierte Chˆateau Margaux vielleicht den Wein des Jahrganges: Ein ungemein dichtes, sublimes, zugleich ätherisches Gewächs von betörender Qualität! Paul Pontallier verwendete lediglich 8 Prozent Merlot, weil auf Chˆateau Margaux die höchste Qualität immer mit dem Cabernet Sauvignon erreicht werde. Einen gleichfalls exzellenten Wein mit abgerundeten Gerbstoffen kelterte Palmer. Zahlreiche weitere Weine bestätigten das ungewöhnlich hohe Niveau dieser Appellation.

Die erfolgsverwöhnte Gemeinde St-Julien präsentierte einige sehr gelungene Weine, allen voran Ducru-Beaucaillou. René Lusseau, der Mâıtre de Chais, stuft den 2005er deutlich höher ein als den 2000er Ducru. Léoville-Las Cases gelang ein konzentrierter und zugleich distinguierter Wein mit reifen Gerbstoffen. Kellermeister Bruno Rolland glaubt, in diesem Wein die Kraft des 86ers und die Eleganz des 96ers vereint zu haben. Auch Léoville-Barton gehörte zu den besten Weinen. Die markanten Tannen zeigten allerdings eine gewisse Härte.

Mouton-Rothschild aus dem Pauillac wirkt zurzeit noch etwas verhalten. Lafite und Latour brillierten jedoch und brachten sehr eindrückliche Weine hervor, die allerdings nicht an Margaux heranreichten. Pichon-Lalande war bereits ungemein verführerisch, mit viel Finesse.

Ob wir uns auf eine Neuauflage des legendären 82ers freuen dürfen? Einer der Stars des Jahres findet sich in St-Estèphe: Montrose 2005 ist ein ausserordentlich kraftvoller Wein mit einer intensiven, schwarzbeerigen Frucht, erstaunlicher Komplexität und abgerundeten Tanninen. Selbst der Zweitwein besass eine Qualität, die manchen Produzenten vor Neid erblassen liesse. Cos-d'Estournel könnte prinzipiell auf gleichem Niveau sein, wären nicht die massiven, stark trocknenden Gerbstoffe. Auch für die Sauternes war 2005 ein gutes Jahr, wenngleich auf keinen Fall so grossartig wie 2001. Im Vergleich zu diesem wirken die 2005er Weine barocker. Sie besitzen auch weniger Säure. Es dominieren meist reife Aromen von Aprikosen und Pfirsichen. Yquem ist erstaunlich elegant und komplex; Rieussec vereint eine füllige Süsse mit schöner Komplexität.

Explodierende Preise

Die unzähligen Vorschusslorbeeren haben zu einer gewaltigen Nachfrage nach den besten 2005ern geführt. Insbesondere die Weinhändler in den Vereinigten Staaten möchten um jeden Preis kaufen. Die Gegensätze könnten nicht grösser sein: Derweil die Anbauregion Bordeaux mit ihren rund 115 000 Hektaren Rebfläche gesamthaft von einer gewaltigen Krise geschüttelt wird, erzielen rund 2 Prozent der Weine Preise, die sich jeglicher rationalen Begründung entziehen. So fixierte letztes Jahr der Berufsverband der AOC Bordeaux einen Mindestverkaufspreis von 1000 Euro für 900 Liter Bordeaux, um dem drohenden Preisverfall entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite ist es gut möglich, dass sechs Flaschen eines Premier Cru bereits im Grosshandel über 1000 Euro kosten werden. Vielerorts hört man, dass etwa 20 Prozent höhere Preise als im Jahre 2000 wahrscheinlich sind. Für den Weinliebhaber ist es beruhigend zu wissen, dass auch weniger renommierte Betriebe 2005 sehr schöne Weine gekeltert haben. Tröstlich ist auch, dass sich die besten 2004er hervorragend entwickelt haben und voraussichtlich zum halben Preis der 2005er erhältlich sein werden.

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