Schwanders Empfehlung: Bordeaux 2013, NZZ am Sonntag, 1. Juni 2014

TEXT PHILIPP SCHWANDER

Selbst einem typischen Bor- delaiser, der den noch nicht verkauften Jahrgang gerne mit reichlich Vorschusslorbeeren anpreist, blieb heuer nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass 2013 die schwierigsten Bedingungen seit langem bot und dass unter den gleichen Umständen dreissig Jahre zuvor nur wenige trinkbare Weine erzeugt worden wären. Tatsächlich muss man Jahrzehnte zurückgehen, um ähnlich miserable Wachstumsbedingungen wie 2013 zu finden. Am ehesten noch sind die Witterungsverläufe mit 1984 und 1965 vergleichbar – beides Jahre, an die sich die Bordelaiser mit Schrecken erinnern.

Der Jahrgang 1984, welcher im Gegensatz zum 2013er von einem warmen April profitierte, litt bis im Juni ebenso unter nasskaltem Wet- ter, das eine schlechte Blüte und Reiferückstände zur Folge hatte.

Beim 1984er waren Juli und August wie 2013 zufriedenstellend, allerdings beendete ein Wirbelsturm Ende September die sachte aufkeimende Hoffnung jäh. Immerhin waren die Herbstregen 1984 weniger schlimm als 2013. Ein weiterer Vergleich drängt sich mit dem Jahr 1965 auf, das aufgrund des nasskalten Frühjahrs ebenfalls eine un- gleichmässige Blüte verzeichnete, im Gegensatz zu 2013 aber auch in den Monaten Juli und August nur mit sehr wenig Sonnenschein gesegnet war und im feuchten Herbst dann fast alles durch Fäulnis verlor.

Der Jahrgang 2013 dürfte hinsichtlich des Witterungsverlaufs irgendwo zwischen dem ziemlich schlechten 1984er und dem miserablen 1965er einzustufen sein. Der grosse Unterschied liegt allerdings im technischen Fortschritt und in der sorgfältigeren Arbeitsweise im Rebberg, die es heute ermöglichen, auch in solch schwierigen Jahren einige sehr ansprechende Weine zu keltern.

Kampf gegen massive Fäulnis

Wir lassen wie gewohnt das Rebjahr Revue passieren, denn durch den meteorologischen Verlauf der Vegetationsperiode gewinnt man manch wichtige Erkenntnisse für die spätere Weinqualität. Wie in weiten Teilen Europas ging 2013 im Bordelais der Frühling gewisser- massen vergessen und entsprach mehr einer Art verlängertem Winter. Februar und März waren kühl. Der von den Temperaturen her durchschnittliche, niederschlags- arme April vermochte den beschei- denen Start nicht wettzumachen. Ein kalter, regnerischer Mai mit wenig Sonnenschein – 137 Sonnen- stunden gegenüber 217 im 20-Jahres-Schnitt – sorgte bereits für eine veritable Verspätung der Vegetation. Die Durchschnittstemperaturen lagen mit 12,5 Grad ungewohnt tief, und die Niederschlagsmenge war fast doppelt so hoch wie sonst üblich. Viele Winzer waren über diesen sich so unfreundlich gebärdenden Mai irritiert. Doch es sollte noch schlimmer kommen:

Am 8.Juni verzeichnete man sintflut- artige Regenfälle. Es blieb sehr kühl und mit 147 Millimeter Nieder- schlag gegenüber 63 im langjähri- gen Durchschnitt extrem  feucht. Die Sonnenstunden waren mit 132 gegenüber dem langjährigen Mittel von 239 gleichfalls rar. Der Beginn der Blüte setzte – wen wundert’s? – erst spät Mitte Juni ein und aber- mals begleitet von viel Regen am 17. und 18.Juni.

Die unwirtlichen Temperaturen und das triste Wetter drückten nicht nur auf die Stimmung der Gäste an der Bordeaux-Weinmesse Vinexpo, sondern wirkten sich auch äusserst unvorteilhaft auf die Blüte aus, die unregelmässig und über einen längeren Zeitraum verlief. Viele Trau- ben verrieselten dabei, das heisst, die Befruchtung blieb aus, und die noch kaum entwickelten grünen Beeren wurden abgeworfen. Besonders der Merlot ist anfällig auf die Verrieselung, weshalb vielerorts die Ertragsreduktion ähnlich ein- schneidend war wie 1984. Auch Millerandage trat häufig auf. Dabei findet man in der gleichen Traube normal entwickelte sowie wegen der schlechten Befruchtung von nur einem oder zwei der insgesamt vier Traubenkerne auch deutlich kleinere Beeren. Eine solche Konstellation erschwert die Ernte massiv, weil sie zu einer ungleichmässigen Ausreifung mit teilweise grünen Beeren in derselben Traube führt.

Ein weiterer wichtiger Faktor war die Botrytis-Prävention am Ende der Blüte. Bereits in diesem frühen Stadium kann der Pilz nämlich ein ruhendes Myzel im Innern der wer- denden Trauben installieren und sich im Herbst dann explosionsartig ausbreiten. Wer also 2013 die Botrytis nicht schon im Vorsommer konsequent bekämpfte, sollte spä- ter einen Grossteil seiner Ernte durch Fäulnis verlieren.

Nicht wenige Produzenten verharmlosten die Fäulnis bzw. logen brandschwarz. Der Direktor eines berühmten Médoc Cru Classé, auf dem biodynamisch gearbeitet wird, versicherte mir treuherzig, sie hät- ten praktisch keine Fäulnis gehabt. Fotos eines Bordelaiser Freundes, der während der Erntezeit dessen Rebberge begutachtete, belegen eindeutig, dass der besagte Produzent mit massiver Fäulnis zu kämpfen hatte. Daneben galt es im Frühjahr, den Kampf gegen den Mehltau aufzunehmen, der die bereits win- zige Ernte komplett zu zerstören drohte. Die Gefahr war derart gross, dass einige Winzer um Erlaubnis fragten, ihre Kupfer- und Schwefelpräparate mit dem Helikopter zu versprühen.

Zum Glück stellten sich im Juli endlich Sonnenschein und Wärme ein. So zählte man rekordträchtige 21 Tage mit Temperaturen von über 30 Grad. Die Mehltaugefahr schien einigermassen gebannt. Bei vielen Winzern verbreitete sich um den 20.Juli herum zaghafter Optimismus. Man hoffte, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch bereits am 25. Juli zog ein weiterer, heftiger Gewittersturm auf, der zahlreiche Verwüstungen und lokalen Hagelschlag mit sich brachte.

Als ob dem nicht genug gewesen wäre, suchte am 2. August einer der verheerendsten Hagelstürme seit Jahren die Region heim. Rund 80 Prozent der Ernte einer davon betroffenen Anbaufläche von 10'000 Hektaren, vorwiegend in den Entre-Deux-Mers, wurden zerstört und damit auch das Jahres- einkommen vieler Winzer. Der Rest des Augusts zeigte sich erfreulicherweise von einer anderen Seite. Es herrschte warmes, sonniges Wetter, das den gebeutelten Produzenten ein wenig aufzu- atmen erlaubte. Die heissen Monate Juli und August hatten zudem den Vorteil, dass die Reben den besonders in schlechten Weinjahren gefürchteten krautig-unreifen, an grüne Paprika erinnernden Geschmacksstoff Methoxypyrazin auf ein erträgliches Niveau abbauen konnten. Der Farbumschlag der Beeren setzte jedoch zwei bis drei Wochen später als üblich ein, zog sich bis in den September hin und war besonders beim Merlot unregelmässig. Dies zwang die qualitätsbewussten Winzer zum Herausschneiden zahlreicher Trau- ben, obwohl der Ertrag bereits infolge der Verrieselung sehr tief lag.

Der Monat September zeigte sich zu Beginn mild und freundlich, vom 5. bis zum 20. war es recht kühl, um den 24.September herum dann wieder sommerlich warm. Die Lese der trockenen Weissweine begann ungefähr Mitte des Monats und brachte teilweise sehr gelungene Weine hervor. Danach setzte am letzten Wochenende des Monats und abermals um den 4. Oktober massiver Regen ein. Bereits um den 25. September herum begann sich im feucht-schwülen Klima die Graufäule (Botrytis cinerea) in den Rotweinrebbergen explosionsartig auszubreiten; Ende der ersten Oktoberwoche waren fast alle Rebsorten befallen. Die Trauben ganzer Parzellen verfaulten von einem Tag auf den anderen.

Der Bordelaiser Önologe Denis Dubourdieu befand, eine derart schnelle und aggressive Ausbrei- tung äusserst selten beobachtet zu haben. Die Rebgärten mit sandigen, leichteren Böden litten besonders unter der Graufäule. Praktisch alle Winzer waren nun zur Lese gezwungen, wollten sie nicht ein komplettes Verfaulen und die Zerstörung der Farbe der Traubenschalen durch das pilzeigene Enzym Laccase riskieren. Die notwendige Reife aber wäre erst in etwa zwei Wochen erreicht worden. Der heftige Ausbruch der Botrytis cinerea hatte auch einen positiven Aspekt und führte bei den Sau- ternes-Weinen zur höchst er- wünschten Edelfäule. So darf das Jahr zumindest für die Süssweine als gelungen gelten.

Menge und Qualität des 2013er

Die Ernte 2013 ist die kleinste im Bordelais seit 1991. Die Ertrags- menge gegenüber dem volumen- mässig bereits  bescheidenen 2012er sank noch einmal um 27 Prozent. Die weissen Trauben mit ihrer frühen Reife wurden vor den grossen Regenfällen eingebracht. Die trockenen Weissweine sind daher elegant, besitzen eine frische Säure und eine erfreulich präzise, intensive Aromatik. Auch die Sau- ternes-Weine dürfen als Erfolg angesehen werden, wenn sie auch kaum in der Liga der 2001er oder 2007er mitspielen.

Für die Rotweine war es eines der schwierigsten Jahre seit langem. Viele Weine sind dünn, säure- betont, zahlreiche sogar fehlerhaft. Die berühmten Crus classés profi- tierten vom besseren Terroir und konnten viel mehr Aufwand im Rebberg betreiben und die Trauben besser selektionieren. Im Vorteil waren oft die früher reifenden Mer- lot-Lagen und die zuletzt gelesenen Cabernet-Sauvignon, weil sich das Wetter nach dem 4. Oktober wieder besserte. Die in der mittleren Ernte- periode gelesenen Trauben ent- täuschten häufiger. Zuckerzugabe vor der Gärung zur Erhöhung des Alkoholgehalts war verbreitet – in manchen Bordelaiser Supermärkten soll im Herbst der Zucker vor- übergehend ausverkauft gewesen sein! Die besten 2013er haben einen tiefen Alkoholgehalt und besitzen eine höhere Säure als üblich, sind aber sehr finessenreich und dürften – sofern der Ausbau dieser fragilen Weine gelingt – rasch trinkbereit sein. Sie sind elegant und erinnern im positiven Sinn an die alten Bordeaux.

In der Appellation Margaux entdeckten wir unvermutet viele ein- wandfreie Weine. Manche führen dies auf die leichteren, wärmeren Böden zurück, die eine frühere Reife begünstigen. Paul Pontallier von Château Margaux gelang ein feiner, nobler Wein, der zu 94% aus Cabernet-Sauvignon besteht. Palmer überzeugte ebenfalls mit einem erstaunlich kräftigen Ge- wächs. Und der bis anhin qualitativ nie auffällige Cantenac Brown war – wie auch die wenig bekannten Dauzac, Desmirail und du Tertre – überraschend gut.

Sehr guter Lynch-Bages

In St-Julien, das unseres Erachtens 2013 etwas weniger positiv als sonst üblich auffiel, war eindeutig Ducru-Beaucaillou unser Favorit. Aber auch Léoville-Las Cases und Léoville-Poyferré überzeugten. Zahlreiche erfreuliche Weine verkosteten wir in Pauillac. Überraschend konzentriert und edel war Latour, und selbst der Zweitwein Les Forts de Latour gefiel sehr. Auch dem stets vergnügten Charles Chevallier von Lafite-Rothschild gelang ein finessenreicher Wein. Er betonte, dass vor dreissig Jahren unter diesen Umständen keine Ernte eingebracht worden wäre.

Sehr gut beurteilten wir weiter Lynch-Bages. Der in den letzten Jahren immer exzellente Pichon-Baron schien zum Zeitpunkt der Degustation noch ein wenig streng und säurebetont. Selbst das zum Champagnerhaus Roederer gehö- rende Pichon-Lalande gefiel, wenn auch die etwas grünliche Note auf eine nicht ganz optimale Ausreifung hinwies. Mouton-Rothschild indes wirkte noch verhalten.

Wer dieses Jahr Montrose besuchte, der traute seinen Augen kaum, als er den neuen Fasskeller des Weinguts sah. Es dürfte sich hier um den prunkvollsten Chai des gesamten Bordelais handeln, dem Vernehmen nach soll es auch die kostenintensivste Investition der letzten Jahre gewesen sein, grösser noch als Pavie und die neuen Gär- keller von Mouton und Pichon-Lalande. Martin und Olivier Bouygues vom gleichnamigen Baukonzern investierten seit der Übernahme rund 55 Millionen Euro in den Betrieb und kauften vom benach- barten Phélan-Ségur zusätzliche 22 Hektaren Rebland. Das neu vom pensionierten Mouton-Direktor Hervé Berland geleitete Gut kelterte einen sehr überzeugenden Rotwein. Sicher profitierte man auch von den besseren Bedingungen in St-Estèphe. So fiel in dieser Gemeinde im Oktober dreimal weniger Regen als im restlichen Bordelais.

Auch auf Cos d’Estournel servierte uns der mit dem Besitzer Michel Reybier verwandte Dimitri Augen- blick einen konzentrierten, seriösen Rotwein. Dass höchste Qualität auf Cos ernst genommen wird, zeigt sich an der separaten Vinifizierung sämt- licher 97 Parzellen des Weinguts. Trotz dem frühreifenden Merlot herrschte im Libournais nicht eitel Freude. Die starke Verrieselung und die höhere Fäulnisanfälligkeit dieser Rebsorte bereiteten vielen Sorge.

Auch der Cabernet-Franc mit seinen eng beisammen liegenden Beeren wollte nur selten gelingen. Begeis- tert waren wir von der Entwicklung auf Château Figeac, das nach dem Tod von Thierry Manoncourt nun von Michel Rolland önologisch betreut wird. Stephan Graf von Neipperg kelterte überzeugende Weine bei tiefen Erträgen, die rund ein Drittel einer normalen Ernte betrugen. Von Alain Vauthier, der einen noblen Ausone zeigte, erfuh- ren wir, dass er die Hälfte einer normalen Ernte gelesen hatte. Schlicht schrecklich fanden wir die Weine von Gérard Perse (Pavie, Bellevue- Mondotte, Pavie-Decesse). Der erfolgreiche Unternehmer und ehemalige Eigentümer einer Supermarktkette war offensichtlich der Überzeugung, dass ein grosser Wein sich durch martialische Kraft und mundtrocknende Tannine auszeichnen müsse. Auf Angélus, wo kürzlich ein prunkvoller, neun Millionen Euro teurer Keller eröffnet wurde, präsentierte man uns einen eleganten, harmonischen Wein.

Die warmen Böden des Pomerol hatten 2013 sicher einen entschei- denden Vorteil. Herausragend gelungen ist der L’Eglise-Clinet des bodenständigen Winzers Denis Durantou, der seinen 2013er sogar höher als den 2002er und 2003er einstuft. Ebenso überzeugend fiel Pétrus aus, für den, wie uns der Direktor Olivier Berrouet mitteilte, nur die gesunden, vor dem grossen Oktober-Regen geernteten Partien verwendet wurden. In der Region Graves degustierten wir bei Haut-Brion einige hochstehende, sehr solide Weine.

Auf ähnlichem Niveau befand sich Pape-Clément. Domaine de Chevalier gefiel sowohl mit seinem Rot- als auch Weisswein. Zu Recht ist man im Graves glücklich über die Qualität der trockenen Weissweine, die noch vor den Regenfällen gelesen wurden.

Kleine Ernte, hohe Preise

Die bescheidene Erntemenge 2013 sorgte einerseits auf dem Fass- weinmarkt zu einer deutlichen Preiserhöhung von 910 Euro pro Tonneau beim Jahrgang 2011 auf jetzt 1264 Euro. Andererseits ist die Nachfrage nach teuren, renommier- ten Bordeaux zurzeit sehr bescheiden. Erst kürzlich brachte ein chinesischer Grosshändler 2000 Kisten (!) Angélus 2010 auf den Markt, was rund einem Viertel der Gesamtproduktion des Weinguts entspricht. Es veranschaulicht, dass die hinter vorgehaltener Hand kolportierten Mutmassungen wohl stimmen, wo- nach in den letzten Jahren gegen vier Fünftel der Gesamtmenge der renommierten Crus classés nach China verkauft wurden. China als Käufer fällt im Moment weitgehend aus, die Jahrgänge bis 2010 wurden aus Spekulationsgrün- den und zur Bestechung gekauft.

Auch die Europäer und Amerikaner dürften sich angesichts der lediglich etwa zehn Prozent tieferen Preise kaum für den 2013er interessieren. Noch immer sind beträchtliche Men- gen des ausgezeichneten 2010ers vorrätig, von den 2011ern und 2012ern ganz zu schweigen. Argumente für einen Subskriptionskauf des 2013ers zu finden, dürfte selbst ausgebufften Marketingspezialisten schwerfallen. Es verwundert daher nicht, dass die Primeur-Verkäufe des 2013er miserabel verlaufen sind. Zu hoffen bleibt, dass dies die Besitzer der Bordelaiser Crus classés endlich wieder auf den Boden der Realität zurückbringt. 

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