Wein als alternative Anlage - NZZ vom Montag, 28. Dezember 2020

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Wein als alternative Anlage

Auf dem Markt für edle Tropfen werden jährlich geschätzte 5 Milliarden Dollar umgesetzt.  Wer sich dafür interessiert, in Wein zu investieren, benötigt allerdings besondere Sachkenntnis

Gute, länger lagerfähige Weine im Keller zu halten, braucht Platz, den richtigen Ort und kostet. Dafür bietet es aber in der Regel nicht nur  einen  Gewinn an Genuss, sondern auch Wertzuwachs. Lohnt es sich also, Weine als Vermögensanlage zu kaufen und zu lagern?

Die Preise von Sammlerweinen beginnen häufig bei rund 100 Fr. und können nach oben problemlos bis zu 10'000 Fr. pro Flasche erreichen.Vergleicht man die Wertentwicklung solch edler Gewächse aus verschiedenen Regionen mit derjenigen des breiten Aktienindexes MSCI World und mit dem Goldpreis (siehe Grafik rechts), so zeigt sich, dass dabei vor allem die Burgunder gut abschneiden. Ihre Preise sind seit 2004 im Durchschnitt um 10,2% pro Jahr gestiegen. Die Rentabilität lag allerdings selbst bei den Burgundern noch unter der Entwicklung des Goldpreises (11,8%). Unterschätzt ist Champagner, der sogar den Index der Bordeaux-Top-40 der Händlerplattform Liv-ex übertraf. Am Beispiel der Finanzkrise von 2008/09 zeigt sich überdies besonders deutlich, dass die Preisentwicklung beim Wein in der Regel weniger markanten Schwankungen unterliegt als diejenige von traditionellen Finanzanlagen.

Bis etwa 2008 war der «Fine Wine Market» eine Fundgrube für geschickte Investoren. Danach erlaubten das Inter- net und die Globalisierung den Produzenten, das Potenzial des Marktes immer besser auszureizen. Aufgrund der höheren Markttransparenz schöpften sie nun oft einen beträchtlichen Teil des im Sekundärmarkt zu erwartenden Gewinns durch deutlich höhere initiale Verkaufspreise ab.

Verkaufen oder geniessen

Im Vergleich zu Aktien muss beim Wein physisch in ein Produkt investiert werden, das korrekt gelagert, versichert sowie gegebenenfalls transportiert werden muss und überdies oft gefälscht wird. Ausserdem wird man nur besonders rare Weine zum Marktpreis verkaufen können. Gerade in Auktionen werden bei weniger gefragten Produkten häufig signifikant tiefere Preise realisiert, was zu einem erheblichen Bid-Ask-Spread von etwa 25% führt. Im Gegensatz zu den meisten Finanzprodukten ist Wein zudem nicht endlos haltbar. Eine ebenfalls entscheidende Rolle spielen Währungsschwankungen und Steuern.

Wer sich demnach nicht für das Produkt Wein interessiert, der kann mit anderen Vehikeln gefahrloser und effizienter das gleiche Ziel erreichen. In Analogie zum selbstgenutzten Wohneigentum bieten Anlagen in Wein dem Liebhaber Freude und die Möglichkeit zu substanzieller, mit anderen Anlagen wenig korrelierender Wertvermehrung. Besonders vorteilhaft zeigt sich in dieser Hinsicht das englische Modell des Weinhändlers, der für die Beschaffung, die Lagerung und den anschliessenden, allfälligen Verkauf verantwortlich ist.

Bei der Prüfung, welche Weine eine Investition lohnen, wird allerdings vielfach nur die Wertsteigerung bzw. der potenziell mögliche Wertzuwachs untersucht. Berücksichtigt man lediglich diesen Aspekt, geht man grosse Risiken ein. Es gibt einige wichtige Punkte und Kriterien, denen man ebenfalls Aufmerksamkeit schenken sollte:

Lagerung und Transport: Hochstehende Sammlerweine werden praktisch nie weinsteril filtriert und sind damit mikrobiologisch weniger stabil. So können ohne weiteres wilde Hefe-Populationen oder noch lebende Milchsäurebakterien vorhanden sein, die den Wein bei einer hohen Lagertemperatur beeinträchtigen (etwa durch vorzeitige Alterung oder Trübungen). Im internationalen Handel sind es aber gerade die berühmtesten Gewächse, die gerne weiterverkauft werden und manchmal aufgrund dessen eine Odyssee mit wenig vorteilhaften Transportbedingungen hinter sich haben. Ideal ist eine Lagerung zwischen 11 und 14 °C bei einer Luftfeuchtigkeit von 68 bis 72% (nicht über 75%, da sonst die Etiketten in Mitleidenschaft gezogen werden, und nicht unter 65%, da sonst die Korken austrocknen und ein grösserer Schwund entstehen kann), am besten im Original-Gebinde, beispielsweise in einer Sechser-Holzkiste. Eine korrekte Lagerung inkl.Versicherung kann durchaus zwischen Fr. 1.50 und Fr. 2.50 pro Flasche und Jahr kosten.

Lagerfähigkeit: Von grundlegender Bedeutung bei einer Wein-Investition ist neben der Wahl des richtigen Weines auch dessen Lagerfähigkeit. Diese unter- scheidet sich allerdings oft stark von den offiziellen Verlautbarungen. Zurzeit wer- den gerne italienische Weine propagiert, weil sie preislich immer noch attraktiv sind. Im Fokus stehen hierbei die Gewächse aus der Toskana und Piemont. Tatsache ist jedoch, dass viele dieser Weine – und selbst solche berühmter Provenienzen – nie die Haltbarkeit grosser Bordeaux erreichen. Zahlreiche Brunello di Montalcino sollten nicht viel länger als 15 Jahre gelagert werden, dasselbe gilt für manche Barolo und auch «Super Tuscans» mit Bordelaiser Rebsorten. Wer- den diese Weine jung erworben und unterkorrekten Bedingungen aufbewahrt, ist das Risiko gering. Problematisch ist der Kauf älterer Jahrgänge, deren weitere Lagerfähigkeit begrenzt istBurgunder sind meist besser haltbar als italienische Weine. Ihr geringer Tanningehalt und ihre fragile Struktur machen sie allerdings deutlich anfälliger gegenüber schlechter Lagerung als Bordeaux. Bei einem Kauf von teuren Burgundern ist es deshalb unabdingbar zu wissen, welche Lagerbedingungen bei den Vorbesitzern herrschten, und insbesondere auch, wie und wie oft die Weine transportiert wurden. Je mehr Vorbesitzer und Transporte zu verzeichnen sind, desto höher ist das Risiko.

Fälschungen: Experten gehen davon aus, dass es sich derzeit bei rund einem Fünftel der gesuchtesten Weine um Fälschungen handelt. Das ist ein betrüblich hoher Prozentsatz. Von den Weinlegenden wie beispielsweise Cheval Blanc 1947 oder Pétrus 1961 wurde erheblich mehr verkauft, als je erzeugt wurde. Insbesondere in Fernost kursieren unzählige gefälschte Gewächse. Die Fälschung gerade älterer Jahrgänge ist nicht sehr anspruchsvoll, da die Etiketten drucktechnisch einfach aufgebaut und leicht zu reproduzieren sind. Hinzu kommen Weine, die zwar originale Flaschen aufweisen, aber neu befüllt wurden. Im Internet finden sich zahlreiche Angebote für leere Flaschen berühmter Weine.

Mangelnde Vorsicht und Kenntnis vieler Sammler erleichtern die starke Verbreitung von Fälschungen. In diesem Zusammenhang sei als Beispiel auf den bisher grössten Weinskandal hingewiesen, bei dem vom Indonesier Rudy Kurniawan teilweise dreist gefälschte Weine im geschätzten Wert von 100 Mio. $ verkauft wurden (sehr oft über das Auktionshaus Acker Merrall & Condit, heute Acker Wines). Viele dieser Weine liegen nach wie vor in den Kellern von Sammlern. Die Problematik erinnert ein wenig an den Kunstfälscher Beltracchi, von dem noch immer «Originale» berühmter Künstler existieren. Bei Angeboten besonders rarer, gesuchter Gewächse sollte deshalb ein Experte beigezogen werden. Versteigerungen im Internet oder Auktionen unseriöser Anbieter werden oft als Entsorgungsplattform für schlecht gelagerte oder gefälschte Weine genutzt.

Vorsicht vor Ungeschwefeltem

«Natur» und «Bio»: Biologisch und biodynamisch erzeugte Weine sind bei qualitativ hochstehenden Domänen zunehmend Standard. Daneben gibt es immer mehr sogenannte «Naturweine» (kein gesetzlich geschützter Begriff), deren Protagonisten mit ihren möglichst naturbelassenen Erzeugnissen einen Gegenentwurf zu den sogenannt industriellen Weinen bieten wollen. Die Kelterung solcher Weine erfordert ein grosses Fachwissen und entsprechende technische Einrichtungen, da sie sonst schnell verderben können.

Hinzu kommt eine weitere, oft verschwiegene Problematik, die insbesondere auch biologisch arbeitende Winzer betrifft: Es gehört heute leider zum guten Ton, bei der Weinbereitung die Schwefeldosierungen möglichst gering zu halten. Schwefel wird seit der Antike in Form von Schwefeldioxid (SO2) zum Desinfizieren von Behältern und vor allem gegen das Braun- werden (Oxidation) des Weines eingesetzt. Das SO2 bindet den Sauerstoff und verhindert sowohl die Oxidation als auch die Entwicklung von Bakterien und wilden Hefen. Ungeschwefelte oder nur schwach geschwefelte Weine altern schnell und entwickeln deshalb bald Oxidationsgerüche. Diese triviale Gesetzmässigkeit geht bedauerlicherweise bei vielen Produzenten vergessen, denn oft wird ungenügend geschwefelt, mit dem Ergebnis, dass die Weine viel weniger lang haltbar sind. Ein dagegen heute kaum mehr virulentes Problem ist der korkähnliche Geschmack (der sog. «goût de moisi»), der von im Keller entstehenden Chloranisolen verursacht wird und so manchen berühmten Produzenten (auch im Bordelais) dazu nötigte, eine komplette Kellersanierung vorzunehmen.

Währungen und Steuern: Ein führender Raritätenhändler aus der Schweiz brachte es auf den Punkt: Bis 2008 erwirtschaftete er mit seinem Portfolio rarer Weine beträchtliche Gewinne. Danach begann die Erfolgsrate zu sinken. So büsste der Euro zwischen 2008 und September 2020 gegenüber dem Franken 35% an Wert ein, der Dollar beinahe 20%. Dagegen profitierte beispielsweise der für den Weinhandel sehr wichtige englische Markt mit dem schwachen Pfund ganz besonders und generierte dadurch ausgezeichnete Lagerverkäufe und Renditen. Wer im grösseren Stil ein Wein-Portfolio aufbaut, sollte sich deshalb Gedanken machen über die längerfristige Entwicklung seiner Wunschwährung. Auch Steuern und Gesetzesänderungen können einen erheblichen Einfluss auf eine Wein-Investition haben. Als New York 1994 seine gesetzlichen Regelungen änderte und Weinauktionen zuliess, schnellte der Anteil der USA am «Fine Wine Market» empor. 2008 wurde in Hongkong die Steuer auf Weine abgeschafft, was dazu führte, dass die Stadt zum wichtigsten asiatischen Wein-Umschlagsplatz avancierte. Die im Oktober 2019 eingeführten US-Strafzölle von 25% auf EU-Weine mit weniger als 14% Alkohol be- wirkten massive Exportrückgänge in den betroffenen Ländern Frankreich, Spanien, Deutschland und Grossbritannien.

Inflationäre Bestnoten

Bewertungen von Weinkritikern: Der lange weltweit tonangebende Weinkritiker war der Amerikaner Robert Parker. Bewertete er einen Wein hoch, bewirkte dies einen signifikanten Effekt auf den Verkaufspreis. Weine mit Parkers Maximalnote 100 sind bei Sammlern immer noch sehr gesucht. Häufig werden indes bei den Fassproben 100 Punkte vergeben, die im Nachhinein wieder nach unten korrigiert werden (z. B. Bordeaux Jahrgang 2000). Parker verkaufte sein mittlerweile von verschiedenen Spezialisten herausgegebenes Magazin «Wine Advocate» bereits 2012 und zog sich 2019 gänzlich zurück.

Als einflussreichste Weinkritiker neben Parkers «Wine Advocate» werden derzeit die Journalisten Neal Martin und Antonio Galloni (beide bei

«Vinous») angesehen; vielfach bevorzugen sie leichtere, elegantere Weine als Robert Parker, der eine Präferenz für massivere Gewächse hatte. Auch Jancis Robinson und Allen Meadows (Burgund) sind gewichtige Stimmen. Wer hohe Noten liefert, wird öfter zitiert und bekommt mehr Publizität. Aus diesem Grund überrascht es nicht, dass seit einiger Zeit exzellente Bewertungen inflationär vergeben werden und der Verkaufseffekt von Wein-Bewertungen abnimmt. Das von Parker eingeführte 100-Punkte-Bewertungssystem scheint sich trotzdem international immer mehr durchzusetzen.

Glückbringende und andere Zahlen: Bei chinesischen Interessenten können neben der Jahrgangsqualität auch glückbringende Zahlen eine Investition beeinflussen. Gemäss dem langjährigen China-Insider Urs Buchmann, CS Vice Chairman Greater China, gelten folgende Jahre als besonders erfolgversprechend: 2019, 2018, 2016, 2011. Negativ bewertet werden 2015 und 2014. Ein ebenfalls bedeutendes Jahr ist bestimmt die Jahrtausendwende (2000).

 

Philipp Schwander: Geniesser und Perfektionist

pfi. Als Klassenkameraden mit 16 zum ersten Mal per Interrail die Welt erkundeten, fuhr Philipp Schwander (*1965) ins Bordelais, um Weine zu probieren. Er gab sich nicht mit dem Erstbesten zufrieden. Nach Abschluss der höheren Wirtschafts- und Verwaltungsfachschule machte er als Chefeinkäufer des St. Galler Weinhauses Martel seine Passion zum Beruf. 1996 bestand er eine der strengsten Weinprüfungen der Welt und wurde damit zum ersten Schweizer «Master of Wine» gekürt. Nach einigen Jahren als CEO des Zürcher Weinhauses Reichmuth machte sich Schwander 2003 selbständig. Seine Selection Schwander verkauft keine edlen Sammlerweine, sondern europäische Trouvaillen. Schwander liebt gutes Essen, die schönen Künste und wohl nicht ganz zufällig den Barock. Das Ehrenmitglied der österreichischen Weinakademie ist auch ein talentierter Schreiber. Das zeigt sich in den Kundenbriefen, die zu seinem Markenzeichen geworden sind, aber auch früher in regelmässig unter dem Kürzel psw. erschienenen Beiträgen im Wirtschaftsteil der NZZ.