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Bordeaux
Wert und Geschmack: Philipp Schwander über Bordeaux-Weine, Falstaff (7/2025)
Schmeckt der zehnmal teurere Wein auch zehnmal besser?
Natürlich nicht, schreibt der erste Schweizer Master of Wine Philipp Schwander – im Gegenteil, oft schneiden die preiswerteren Weine in Blindproben sogar besser ab. Man muss nur den Sachverstand haben, die guten unter den preiswerten zu erkennen.
Eines vorweg: Ich bin ein begeisterter Anhänger der großen Bordeaux und schätze sie über alles. Neben den burgundischen Pinots Noirs zählen sie für mich zu den besten Rotweinen der Welt. Da ich mich seit rund vierzig Jahren beruflich mit Bordeaux beschäftige, die wichtigsten Jahrgänge der renommierten Weine der Bordelaiser Châteaus seit Anfang 1900 kenne und sie seit 1982 auch vom Fass verkoste, meine ich, eine gute Kenntnis der führenden Crus Classés zu haben.
Kurz gesagt: Sie sind einzigartig, faszinieren stets aufs Neue und sind ein Getränk für besondere Gelegenheiten – wahrer Luxus also. Meine Passion für diese Gewächse erwähne ich deshalb, damit die nachfolgenden Ausführungen unter keinen Umständen falsch verstanden werden.
Weniger ist mehr
Um es deutlich zu kommunizieren: Mittlerweile finden sich zahlreiche weniger bekannte, recht preiswerte Weine im Bordelais, die neben Crus Classés bestehen können. Sie werden in Blindverkostungen oft selbst von Profis gleich oder höher eingestuft. Darum habe ich es mir zum Steckenpferd gemacht, unbekannte neben namhaften Erzeugnissen blind zu servieren.
Häufig sind Etikettentrinker hernach betrübt, wenn ihr Liebling nicht so famos abschneidet wie erwartet. Nun ist dies überhaupt kein Argument gegen die kostspieligen Weine. Wer spezielle Gäste empfängt, möchte diesen ja gerade durch das Kredenzen eines berühmten Gewächses seine Wertschätzung ausdrücken. Das hat seine Berechtigung. Außerdem kann es sein, dass der teure Bordeaux aufgrund seiner hervorragenden Lage über eine längere Reifezeit hinweg den größeren Atem hat.
Preiswandel der Weine
Was auffällt, ist die sich immer weiter öffnende Preisschere. So kostete ein Château Angélus in den frühen 1990er-Jahren umgerechnet rund 35 Euro pro Flasche, ein Château de La Rivière aus dem Fronsac etwa die Hälfte. Heute bieten wir einen Rivière des gelungenen Jahrgangs 2018 für rund 20 Euro an, während man für einen Angélus 2018 etwa 360 Euro berappen muss. Das heißt konkret: Für den Angélus, der qualitativ jedoch besser ist, erhält man nun 18 (!) Flaschen Rivière. Und was Sie erstaunen mag: In Blindtests gewann der Angélus selbst bei Profis nicht immer gegen den Rivière.
Was der Laie nicht weiß: Die Herstellung eines Cru Classé ist unter Umständen nicht sehr viel teurer als die eines seriösen »petit château«, bei dem die Barriques regelmäßig erneuert werden. Man darf davon ausgehen, dass eine Flasche Médoc Premier Cru, die für 500 Euro und mehr verkauft wird, in einem Jahr mit normalem Ertrag in der reinen Produktion selten mit mehr als 13 Euro zu Buche schlägt. Ein exzellenter Médoc Cru Classé dürfte ungefähr die gleichen Kosten haben, ein Cru Bourgeois – infolge der etwas höheren Erträge und der weniger perfektionistischen Arbeitsweise – etwa die Hälfte.
Ursachen der steigenden Diskrepanz
Obwohl die »Kleinen« qualitativ aufgeholt haben, gibt es meines Erachtens drei Hauptursachen dafür, dass die Preisdifferenz eher größer als kleiner geworden ist. Der erste Grund ist, dass es eine stark erweiterte, neue Kundschaft für die Crus Classés gibt: In den 1960er-Jahren beschränkte sich der Verkauf der Bordelaiser Gewächse auf die traditionellen Importländer in Europa und Großbritannien. Dann traten die Vereinigten Staaten als gewichtiger Abnehmer auf und später folgten die asiatischen Länder sowie Russland.
Allerdings lässt sich die Produktion dieser Weingüter nicht beliebig steigern, wie das beispielsweise bei einem Automodell der Fall ist. Auch besitzt diese neue Klientel nach wie vor selten große Kennerschaft, sondern erwirbt vorwiegend aus Prestigegründen gerne das Beste. Das erklärt auch, weshalb Weine wie der Rivière trotz guter Qualität bei der Internationalisierung der Kundschaft meist ins Hintertreffen geraten.
Ein weiterer Grund ist zweifellos die markante Veränderung der Konsumenten. In den 1970er-Jahren war Wein für viele im Mittelmeerraum ein alltägliches Getränk, und selbst der sogenannte »Normalverdiener« wusste, wie ein qualitativ ansprechendes Produkt schmeckt. Heutzutage ist Wein zunehmend ein Genussmittel, das – geht es nach der WHO – nur noch in Ausnahmefällen konsumiert werden darf.
Das heißt, es wird spürbar weniger getrunken, dafür aber meistens hochwertiger. Gleichwohl nimmt die Markengläubigkeit zu, das Bewusstsein für die tatsächliche Qualität eines Weines aber eher ab, was wiederum ermöglicht, zahlreiche Brands zu Fantasiepreisen zu verkaufen (prächtige Beispiele liefern manche Provence-Rosés in Bling-Bling-Flaschen).
Fame als Aspekt
Ein nicht zu unterschätzender Faktor sind außerdem die neuen Medien: Die jüngere Kundschaft sucht vor allem berühmte Namen, die entsprechend wirkungsvoll auf Social Media gepostet werden können. Wen interessiert schon eine unbekannte Trouvaille aus dem Languedoc? Deutlich mehr Aufmerksamkeit lässt sich mit dem Foto eines sündhaft teuren Masseto vor der Kulisse eines Nobelhotels erheischen.
Diese Nachfrage trägt dazu bei, dass sich das oberste Segment immer stärker von Weinen abhebt, die möglicherweise nur marginal weniger gut sind, aber aufgrund ihres geringen Bekanntheitsgrades einen Bruchteil kosten. Da viele nicht mehr regelmäßig Wein trinken, ist der Drang, ein möglichst gutes Erzeugnis zu einem vernünftigen Preis zu finden, wesentlich geringer.
Eine teils ähnliche Polarisierung und Hinwendung zu renommierten Marken kann übrigens in anderen Bereichen festgestellt werden. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Uhrenindustrie, in der sich Rolex, Patek Philippe und vielleicht noch Audemars Piguet prestigemäßig zunehmend von zahlreichen Mitstreitern abgehoben haben und entsprechend höhere Preise verlangen können.
Erschienen in Falstaff Magazin Österreich Nr. 7/2025