Der 1. Mai ist auch in Italien ein Feiertag, daher ist es ausserordentlich ruhig, als wir an diesem für die Jahreszeit fast schon heissen Frühsommertag von der Küstenstrasse bei San Vincenzo in Richtung Castagneto Carducci abbiegen. Vor uns eröffnet sich die wunderbare Landschaft des Bolgheri mit ihrer verführerischen Schönheit: Zypressen säumen die Hügel, das Meer glitzert in der Sonne, und der würzige Duft von Thymian und Pinien liegt in der Luft.
Massimo Piccin, der aus Venetien stammende Bauingenieur, der das Weingut 1999 gründete und seither mit viel Passion und Sorgfalt führt, weilt zum Zeitpunkt unseres Besuchs gerade in Zentralasien, weshalb wir von seiner langjährigen Mitarbeiterin Eleonora Masi auf dem Anwesen empfangen werden. Sie führt aus: «Die Bauarbeiten für die lang geplanten neuen Kelleranlagen haben soeben begonnen. Wir freuen uns schon sehr darauf, euch bald in den dort entstehenden Geschäftsräumen begrüssen zu dürfen. Das Guts- haus wird Massimo künftig nur noch privat nutzen.» Wie üblich verkosten wir verschiedene Jahrgänge ‹Volpolo› und ‹Sapaio›. Das Sortiment umfasst ausschliesslich diese beiden im eleganten Stil gekelterten, langlebigen und ausdrucksstarken Weine, die im Laufe der Jahre merklich an Tiefgründigkeit gewinnen und geschmeidige Tannine entwickeln. Besonders zu erwähnen ist die separate Vinifikation der verschiedenen Parzellen, was eine äusserst präzise Selektion ermöglicht. Massimo benannte seine beiden Cuvées nach den alten toskanischen Rebsorten Volpola und Sapaia, um den regionalen Ursprung seiner Erzeugnisse hervorzuheben.
Das Flaggschiff ‹Sapaio› wird vom renommierten Weinführer Gambero Rosso regelmässig mit der Höchstauszeichnung ‹Tre Bicchieri› dekoriert; sie wurden nun zum dritten Mal auch dem ‹Volpolo› verliehen, diesmal dem sonnenverwöhnten Jahrgang 2022. Wie gewohnt durften wir eine besondere Partie länger als üblich reifen lassen. Leider ist die Menge wegen der steigenden Nachfrage und der bisher unveränderten Betriebsgrösse stark limitiert. Sehr schön entwickelt hat sich der virile ‹Sapaio› 2017, ein nobler, gerbstoffbetonter und reichhaltiger Wein, der sich zu Recht ‹Supertoskaner› nennen darf, obwohl Massimo stets betont: «Wir machen keine Supertoskaner – wir machen Sapaio.» Aber auch wir zählen sowohl den ‹Sapaio› als auch den ‹Volpolo› seit vielen Jahren zu den toskanischen Spitzengewächsen.