Es ist schwülwarm, als uns Ricard Zamora, seit 1999 Export Manager bei Celler de l’Encastell, in Barcelona abholt. Rund anderthalb Stunden später treffen wir im Dorf Porrera im Herzen des Priorats ein. Im ‹Vinum Porrera› – morgens ein Café und ab Mittag ein empfehlenswertes Restaurant mit guter Weinkarte – treffen wir Raimon Castellví in Begleitung seiner Tochter. Der vitale Patron führt aus: «Ich versuche, Isabel zunehmend Verantwortung zu übertragen, arbeite aber weiterhin im Betrieb.» Isabel Castellví Figuerola studierte Önologie an der Universität Tarragona und sammelte praktische Erfahrungen auf Weingütern in Chile, im Napa-Valley sowie in Frankreich, bevor sie vor ein paar Jahren auf dem heimischen Weingut tätig wurde.
Zusammen mit Raimon, Isabel und Ricard fahren wir anschliessend hinauf zu den äusserst kargen Steillagen von Castellvís Weingärten. Auch wenn wir das Priorat schon oft besucht haben, sind die Erläuterungen unserer katalonischen Freunde immer wieder spannend und lehrreich. Heute umfasst das Priorat rund 1700 Hektar Rebfläche in elf Gemeinden. Es herrscht warmes, mediterran beeinflusstes Klima mit trockenen Sommern. Der Ebro-Nebenfluss Siurana durchquert das Gebiet, dessen für den Weinbau ideal geeignete Böden vulkanischen Ursprungs sind und aus kleinblättrigem Schiefer (‹Llicorella›) bestehen. Besonders die Rotweine zählen aufgrund des aussergewöhnlichen Terroirs und des oft extrem niedrigen Ertrags zu den teuersten Spaniens. Ricard erklärt, was solche Bedingungen für die Erntehelfer bedeuten: «In der Ebene können gut und gerne bis zu 1500 Kilogramm Trauben pro Person und Tag gelesen werden, in unseren Steillagen sind kaum mehr als 150 Kilogramm möglich. In den letzten Jahren war es zudem sehr trocken, was der Aromenkonzentration in den Beeren zwar förderlich war, aber die Erträge unserer 30- bis 100jährigen Reben weiter schrumpfen liess.»
Raimon ist ein herausragender Winzer, und seine Weine zählen zu den besten des Priorats. Ihm habe ich auch mein Herzensprojekt anvertraut: meinen Rebberg im Priorat, den ‹Sobre Todo›. Jetzt geht es allerdings um den prächtigen ‹Marge› von jüngeren Reben. Der 2022er darf wiederum als echte Trouvaille bezeichnet werden; etwas leichter als der Vorgänger, zeigt er sich dennoch kräftig und vollmundig, jedoch mit mehr Finesse. Sein Charme ist überaus einnehmend, und er ist schon jetzt ein Hochgenuss. Wie sämtliche ‹Marge›-Weine profitiert er von zusätzlicher Reife, die ihn komplexer macht. Haltbar ist er bis mindestens Ende 2030.