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Kunstkarten
Giovanni Battista Piranesi, Frontispiz der Vedute di Roma 1748
Radierung, Focillon 786, Hind 2 I (von VII), Wilton-Ely 135, sehr seltener Frühdruck der ersten Auflage
Giovanni Battista Piranesi, geboren 1720 in Mestre bei Venedig, gestorben 1778 in Rom, zählt zu den grössten und eigenwilligsten Künstlern des 18. Jahrhunderts. Er ist fast ausschliesslich als Meister der Radierung hervorgetreten, sah sich jedoch immer auch als (verhinderter) Architekt, obwohl er in diesem Metier kaum Spuren hinterliess. Während Piranesi ursprünglich von Barock und Klassizismus beeinflusst war, macht sich in seinem weitgefächerten Oeuvre auch ein früher Zug romantischer Vorstellungskraft bemerkbar.
Zu Piranesis Schlüsselwerken, die schon seine Zeitgenossen begeisterten und später Generationen von Gleichgesinnten beeinflussten, zählen insbesondere seine 135 grossformatigen Vedute di Roma, die über einen Zeitraum von mehr als dreissig Jahren entstanden sind, sowie die massgeblich auch die schwarze Romantik inspirierende Serie der Carceri d’Invenzione von 1761 (erste Auflage um 1748 unter dem Titel «Invenzioni Capric di Carceri»), das vierbändige Monumentalkompendium Antichità Romane (1756) über die Bauten und Denkmäler der alten Römer und die späte Folge der Blätter zu den damals neu entdeckten Tempeln von Paestum, südlich von Neapel (1778).
Daneben schuf Piranesi, der ein besessener Arbeiter mit eigener Werkstatt war, weitere Werke archäologischen oder auch dekorativen Zuschnitts, die sowohl die Grösse des antiken Rom wie auch die Pracht von Repräsentationsvasen oder eleganten Kaminen (Diverse maniere d’adornare i cammini, 1769) für englische Herrenhäuser in Szene setzten.
Rom war und blieb Piranesis persönliche und gedankliche Heimat. Der gebürtige Venezianer, der anfangs von Vorbildern wie Canaletto oder Marieschi beeinflusst wurde, erfasste seit seinem ersten Aufenthalt in der ewigen Stadt deren historische und kunstgeschichtliche Singularität. So wurde er mit seinen Vedute oder Ansichten, die über eine lange stilistische Entwicklung hinweg immer dramatischere Perspektiven ins Bild bringen, zu deren gefeiertem Interpreten, dessen Atelier im Palazzo Tomati an der Strada Felice (heute Via Sistina) ein Magnet für alle Rom-Liebhaber und insbesondere auch für die kunstbeflissenen Milordi auf ihrer Grand Tour war.
Piranesi war ein Virtuose der Radiertechnik. Manche Kupferplatten wurden vielfach überarbeitet. Der malerische Strich, verbunden mit Schwärzen, die ungewohnte Tiefe erzeugten, sorgte und sorgt für rasches Erkennen. Einerseits pflegte der Künstler, je nach Motiv, einen freien, geradezu ausschweifenden Gestus. Anderseits zeigte er vor allem für die archäologischen Arbeiten eine mitunter manische Detailbesessenheit. Selbst Goethe liess sich von Piranesis Grandeur beeindrucken – und war eher enttäuscht, als er die von dem Künstler häufig ins Monumentale gesteigerten Bauten der Antike erstmals in der Wirklichkeit der ewigen Stadt sah.
Für das gewaltige Kompendium der Vedute di Roma, die so grandiose Blätter wie das Colosseum aus der Vogelschau oder den späten Blick auf die Piazza Navona enthalten, gestaltete Piranesi sowohl ein Titelblatt wie auch ein sogenanntes Frontispiz. Bei dieser Radierung handelt es sich um ein sehr frei gestaltetes, aus der Fantasie geschöpftes Ruinen-Capriccio, das die Statue der Göttin Minerva, Schutzpatronin der Kunst und der Städte, in den Mittelpunkt des Geschehens rückt. Während sich eine Überfülle von Bruchstücken aus dem Zitatenschatz der längst verlorenen Antike vor den Betrachter schiebt, konzentriert sich die Kraft dieser Radierung auf die Hauptfigur – ganz im Sinne eines Versprechens, der Grösse Roms mit allen Mitteln des Künstlers Genüge tun zu wollen: eine Ouvertüre der höchst besonderen Art.