Kupferstich, New Hollstein 327 II von II, Strauss 259, ehemals Prentenkabinet der Universitätsbibliothek Leiden
Heutzutage ist Hendrick Goltzius (1558 – 1617) den meisten kein Begriff mehr. Tatsächlich war er aber um 1600 einer der berühmtesten und gefeiertsten Künstler Europas, der mit seinen Kupferstichen Furore machte und ab 1582 einen eigenen Verlag mit Angestellten in Haarlem betrieb. Bereits als Kind war Goltzius ein passionierter Zeichner, zuerst zu Hause an den Wänden, später als Lehrling bei seinem Vater. Auffallend war, dass er wenig kopierte, jedoch sehr häufig eigene Sujets erfand. Sehr prägte ihn die graphische Lehre bei Dirck Volkertszoon Coornhert, einem universell gebildeten Kupferstecher, der auch Notar, Theologe und Humanist war und seinen Schüler nach Kräften förderte. So ist Goltzius’ posthumer Kupferstich seines Lehrers eine seiner beeindruckendsten Arbeiten, die der auch als Portraitist sehr talentierte Künstler geschaffen hat. Goltzius’ Mitarbeiter Jacob Matham, Jacques de Gheyn II., Jan Saenredam und Jan Harmensz. Muller verfertigten exzellente Arbeiten im Stil ihres Meisters. Selbst der junge Rubens liess sich regelmässig von Goltzius Kompositionen inspirieren, besuchte den Künstler und soll sogar eine Mappe mit seinen Antikenzeichnungen besessen haben. Goltzius repräsentiert mit seinen von höchster technischer Virtuosität geprägten Kupferstichen den Höhepunkt der Druckgraphik im Manierismus. Im 19. Jahrhundert wurde diese Kunstrichtung grundlegend missverstanden und verunglimpft. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde vor allem dank des Historikers Emil Reznicek diese herabsetzende Einschätzung revidiert und Goltzius als einer der brillantesten Graphiker, Zeichner und Maler seiner Zeit rehabilitiert. Goltzius übersetzte Vorlagen und Gemälde anderer Künstler (darunter beispielsweise von Bartholomäus Spranger) in den Kupferstich, schuf aber vor allem eigene, geniale Bildfindungen, von denen auch seine Mitarbeiter profitierten. Legendär ist seine Technik der an- und abschwellenden Linien, die zu einer besonderen Plastizität und Körperlichkeit seiner Graphiken führten.
«Die vier Himmelsstürmer», von denen hier Phaëthon gezeigt wird, zählen zu Goltzius’ bekanntesten und spektakulärsten Arbeiten; sie zeichnen sich durch eine besondere artifizielle Schönheit der muskulösen Körper und der Bewältigung auch schwieriger perspektivischer Situationen aus. Sie entstanden nach Werken des Malers Cornelis van Haarlem und zeigen nicht nur eine beeindruckende dreidimensionale Wirkung, sondern sollen die gemalten Vorlagen auch ästhetisch übertroffen haben. (Von den vier Gemälden ist nur noch das des Ixion im Museum Boijmans Van Beuningen erhalten.) Goltzius und sein Malerfreund setzten sich zu dieser Zeit intensiv mit der Aktdarstellung auseinander. Annemarie Stefes von der Hamburger Kunsthalle schreibt dazu: «Ziel ihrer Bemühungen war es, den Vorsprung italienischer Künstler auf diesem Gebiet wettzumachen, das Diktum ‹Niederländer können keine Figuren malen› zu widerlegen.» Als Inspirationsquelle diente das antike Epos «Metamorphosen» des römischen Dichters Ovid. Darin hatten Tantalus, Ikarus, Ixion und Phaëthon durch ihr anmassendes und übermütiges Verhalten die Götter herausgefordert und erlitten dafür grausame Strafen. Phaëthon, Sohn des Helios, bat seinen Vater mehrfach, dessen Sonnenwagen lenken zu dürfen, doch dieser lehnte aus Sorge wiederholt ab. So bestieg Phaëthon eines nachts heimlich den Wagen und versuchte ihn über die Weiten des Himmels zu führen. Dabei geriet das Gespann ausser Kontrolle und drohte, die Welt in Brand zu setzen. Zeus hielt den Wagen mit einem Blitz auf, wodurch Phaëthon hinausgeschleudert wurde und in den Fluss Eridanus stürzte. Das Bild zeigt den fallenden Himmelsstürmer Phaëthon, über ihm zu erkennen sind die hinabstürzenden Wagentrümmer und Pferde, unter ihm das Meer und eine brennende Stadt. Das runde Format der Darstellung verstärkt den Eindruck des dramatischen Sturzes.
Philipp Schwander, September 2025
Übersetzung der lateinischen Kreisperipherie in der Druckgraphik des Phaëthons von Anja Wolkenhauer: «So lehrt der Sturz Phaetons, dass allzu kühne Wünsche schließlich zu keinem guten Ende führen. Sich zu einem Amt zu drängen, billigt der Weise nicht, doch heißt er Ehrungen gut, heißt sie gut, wofern sie nur den Tüchtigen zuteil werden.»
Ariane Mensger, Kunstmuseum Basel «Bestechend gestochen – Das Unternehmen Hendrick Goltzius», Hirmer Verlag 2016
Huigen Leeflang und Ger Luijten: Hendrick Goltzius «Drawings, Prints and Paintings», Metropolitan Museum of Art New York, Rijksmuseum Amsterdam und Toledo Museum of Art, Waanders Publishers 2003
Hamburger Kunsthalle «Die Masken der Schönheit, Hendrick Goltzius und das Kunstideal um 1600» 2002
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