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Kunstkarten
Francisco de Goya «Modo de Volar» (Disparates / Proverbios) 1864
Radierung, Aquatinta und Kaltnadel, Delteil 214, Harris 260 III, 1. Ausgabe (von 9) ehemals Sammlung Charles H. Morgan, Amherst
Goya (1746 – 1828) war nicht nur einer der berühmtesten spanischen Maler, er zählt auch mit seinem druckgraphischen Schaffen zu den wichtigsten Exponenten dieses Genres überhaupt. Er benutzte die Druckgraphik nicht, um seine Gemälde bekannter zu machen, sondern er schätzte sie deshalb über alles, weil sie ihm erlaubte, frei von Vorgaben der Kunden seinen schöpferischen Ausdruck zu leben. Üblicherweise übten die Auftraggeber eines Gemäldes beträchtlichen Einfluss auf die Arbeit aus. Der Kunsthistoriker und Goya-Spezialist August L. Mayer schrieb: «Von wenigen Künstlern besitzen wir eine derartige Fülle bedeutendster graphischer Schöpfungen. … Wie als Maler, so gewann Goya auch als Radierer erst nach seiner schweren Krankheit im Jahre 1792 die volle künstlerische Freiheit.» Und Ernst Rebel: «... Goya hat die Aquatinta zum Gipfel ihrer Möglichkeiten geführt. … Während bisher der Kornraster möglichst unsichtbar gehalten wurde, tat Goya nun mit ihm gerade das Gegenteil. Er kehrte die amorphe Rasterstruktur hervor…»
Nur zwei von Goyas insgesamt vier Druckserien – «Los Caprichos», «Los Desastres de la Guerra», «Tauromaquia» und «Disparates» – wurden zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Die «Disparates» (auch bekannt unter der irreführenden Bezeichnung «Los Proverbios»), hat er zwischen 1815 und 1823 vor seiner Abreise nach Bordeaux geschaffen und – da verschiedene, nie umgesetzte Entwürfe existieren – sehr wahrscheinlich nicht vollendet. Die «Disparates» wurden erst nach dem Tod seines Sohnes entdeckt, der sie bei sich aufbewahrt hatte. Die erste, qualitativ sehr gute Auflage (18 Exemplare) erfolgte dann 1864 durch Laurenciano Potenciano von der Calcografía, der 1863 bereits den Druck der «Desastres» ausführte. Ihre Ausführung ist dunkler als gewisse Probeabzüge. Im Anhang findet sich zur Illustration ein Exemplar eines frühen Abzuges ganz ohne Aquatinta (Matilla Reuter Modo de Volar); meist fügte diese Goya am Schluss dazu. Der Titel «Proverbios» (Sprichwörter) stammt von der Königlichen Akademie von San Fernando; Goya selbst verwendete diese Bezeichnung nie, oft beschriftete er die Blätter mit «Disparates» – Unsinnigkeiten, Dummheiten oder Absurditäten, wie sie beispielsweise in Träumen auftreten können. Trotzdem versuchte Tomás Harris in seinem Werkverzeichnis, jedem Druck der «Proverbios» ein Sprichwort zuzuordnen. (Harris war übrigens zusammen mit Kim Philby ein Doppelagent des MI5 und verunglückte kurz vor der Veröffentlichung seines hervorragenden Buchs unter mysteriösen Umständen bei einem Autounfall auf Mallorca.) Später wurden vier weitere Platten entdeckt, die sich damals im Besitz des spanischen Malers Eugenio Lucas befanden, der ein glühender Bewunderer Goyas war und wahrscheinlich 1856 an der Beurteilung der Schwarzen Gemälde (Pinturas negras) mitarbeitete. Diese vier Motive wurden 1877 erstmals in der Zeitschrift «L’Art» in Paris veröffentlicht.
Für Mayer sind die «Disparates» gewissermassen Goyas expressionistisches Werk und das malerische Gegenstück zu den Schwarzen Gemälden in Goyas Landhaus der Quinta del Sordo, die er dort direkt auf die Wände seines Ess- und Wohnzimmers aufgetragen hatte. Als Goya sie schuf, war er 73 Jahre alt und nahezu taub. Seine Frau war verstorben, sein Sohn Francisco Javier ein Faulenzer und sein Stern am königlichen Hof am Verblassen. Goya war zutiefst deprimiert und schien jede Hoffnung verloren zu haben. Diese letzte seiner graphischen Serien ist mit Sicherheit jene, die am schwierigsten zu interpretieren ist, hier lässt der Künstler seiner inneren, surrealen Vorstellungswelt freien Lauf. Die gestalterische Schönheit dieser 22 rätselhaften, dunklen Aquatinta Radierungen mit ihrem traumähnlichen Charakter und ihren grotesken Geschöpfen ist unübertroffen, und in ihrer Erscheinung wirken sie bereits als Vorläufer der Moderne und wurden von Künstlern wie Paul Klee oder Emil Nolde bewundert. Zu den berühmtesten Blättern gehört Nr. 13 «Modo de Volar». Dieses Blatt befand sich bereits als Probedruck in einem Album der Tauromaquia, das Ceán Bermúdez erhielt; auch das Papier und Wasserzeichen deuten auf einen Druck während der Tauromaquia hin. Es zeigt eine Darstellung von Männern mit vogelähnlichen Helmen bei ihren Flugversuchen in der Dunkelheit. Die Mütze des vordersten Piloten erinnert an einen Kopf eines Raubvogels. Das Motiv könnte einerseits Bezug nehmen auf die instabile, brutale und dumme Regentschaft Ferdinands VII. oder auf die damals üblichen Veranstaltungen mit Fluggeräten und Fallschirmen, wie sie zu dieser Zeit auch in Madrid stattfanden.