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Kunstkarten
Henri de Toulouse-Lautrec «Mademoiselle Marcelle Lender, en Buste» 1895
Farblithographie aus «Chilpéric», Adriani 115 IV/b, Delteil 102 III, Wittrock 99 IV
Einer der bedeutendsten Maler und graphischen Künstler des 19. Jahrhunderts war zweifelsohne Toulouse-Lautrec (1864 – 1901), der im aussergewöhnlich kurzen Zeitraum von 1891 bis 1901 zahlreiche grandiose Lithographien schuf. Er belebte nicht nur diese Form der Drucktechnik neu, sondern beeinflusste auch massgeblich die Entwicklung der Plakatkunst.
Lautrec, in Albi geboren, entstammte einem uralten französischen Adelsgeschlecht aus der Gegend von Toulouse. Um einer Schmälerung des Familienbesitzes durch Erbteilung entgegenzuwirken, wurde häufig innerhalb der Verwandtschaft geheiratet; seine Eltern waren Cousin und Cousine. Aufgrund dessen war die Familie Lautrecs von zahlreichen Erbkrankheiten betroffen. Henris Bruder Richard starb bereits ein Jahr nach seiner Geburt, während er selbst kränklich war und an einer seltenen Erkrankung litt, die zu Kleinwüchsigkeit und einer erhöhten Knochenbrüchigkeit führt. Lautrec war lediglich 1,52 m gross und wurde deswegen oft zur Zielscheibe von Spott. Von der Mutter verwöhnt, wuchs er in einem herrschaftlichen Milieu auf. Sein Vater war ein passionierter Jäger und Reiter; als Hobby pflegten er und Lautrecs Onkel die Malerei und den Kontakt zu Künstlern. Schon früh zeichnete und malte auch Lautrec mit viel Leidenschaft und fertigte bereits im Alter von 14 sein erstes Ölbild an. 1872 zog seine Mutter mit ihm nach Paris, wo er den Grossteil seines Lebens verbrachte und Malunterricht bei verschiedenen Lehrern erhielt.
Von der konventionellen Malerei wenig angesprochen, fühlte sich Lautrec zur Bohème um den Montmartre mit seinen Theatern und Nachtlokalen hingezogen. Er bezog dort ein Atelier in Degas’ Nähe und fand sein Wirkungsfeld im Pariser Nachtleben der Belle Époque, das er in all seinen Facetten und Farben darstellte. Die meisten der von ihm portraitierten Personen sind denn auch Schauspieler, Künstler und Dirnen. Er hielt sich oft in Bordellen auf und machte keinen Hehl aus seiner Schwäche für Prostituierte: Seine gesuchteste Lithographie-Serie trägt den Titel «Elles» und schildert ohne erotische Anspielungen das Alltagsleben der Damen. Das Album war zunächst ein Misserfolg; doch immerhin soll Edward Munch eines erworben haben. Götz Adriani schreibt in seinem Werkverzeichnis, dass die elfteilige Serie «Elles», deren Drucke regelmässig Höchstpreise erzielen, zu den Glanzpunkten des 19. Jahrhunderts zählt. Anfänglich waren Lautrecs Arbeiten allerdings preiswert. Die nur in 12 Exemplaren gedruckte Farblithographie «La Grande Loge» fand ursprünglich für bloss 20 Francs ihre Abnehmer; eine Flasche Champagner kostete damals im Moulin-Rouge 12 Francs. Im Jahr 2002 wurde ein Druck von «La Grande Loge» bei Christie’s dagegen für 669'500 Dollar versteigert.
Die Lithographie stellte für den Maler und Zeichner Lautrec einen Wendepunkt dar. Als Stammgast des Moulin Rouge wurde er gebeten, ein Plakat für das Varieté zu zeichnen, das er im Sommer 1891 anfertigte: Es zeigt die Tänzerin La Goulue alias Louise Weber in aufreizender Pose und machte in ganz Paris Furore. Auch der Sänger Aristide Bruant unterstützte Lautrec als einer der ersten und bestellte bei ihm mehrere Plakate. Bis 1901 zeichnete Lautrec insgesamt 351 Lithographien, davon 28 Plakate. Sie machten ihn, ungeachtet der teils beissenden Kritik, weltberühmt, und die meisten grossen Museen bauten nach dem Ersten Weltkrieg Sammlungen mit seinen Lithographien auf. Die wahrscheinlich grösste stellte der Berliner Otto Gerstenberg zusammen (vgl. Info im Anhang), der als einer der ersten die Qualitäten Lautrecs erkannte und dessen Werke konsequent in den verschiedensten Druckstadien erwarb.
Die schönste Lithographie der sechsteiligen Serie zu Florimond Rongers Operette «Chilpéric» wurde im September 1895 in der deutschen Kulturzeitschrift Pan veröffentlicht. Es ist ein achtfarbiges Brustbildnis der 33jährigen Schauspielerin Marcelle Lender, deren Bolero-Tanz anscheinend eine Sensation war. Lautrec besuchte die Vorstellung mindestens zwanzig Mal und war völlig hingerissen von der Tänzerin. Die Publikation in Pan – Lautrec verzichtete auf ein Honorar – führte zu einem Skandal, da den Herausgebern das Sujet zu frivol war; dem Initianten dieser Arbeit, Redaktor und Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe, wurde die Kündigung nahegelegt. Adriani berichtet: «Eberhard von Bodenhausen, einer der Herausgeber von Pan, äußerte sich 1895 folgendermaßen: Den Gipfel erreichte diese Fremdenanbetung, als Toulouse-Lautrec, der ‹erste und genialste Plakatkünstler Frankreichs›, uns eine im Plakatstil gehaltene, bunte Lithographie schickte, mit der ihn die technisch vortrefflich geschulten Pariser ausgepfiffen hätten und mit der er nach meiner unumstößlichen Ansicht den Versuch machen wollte, wie weit die Dummheit der Deutschen mit ihrem Mangel an nationalem Empfinden in ihrer blinden Anbetung des Auslands gehen würde.» Der aufwendige, mit differenzierten Farben erzeugte Druck zeigt Marcelle Lender in einem Phantasiekostüm als spanische Prinzessin mit zwei grossen Blumen links und rechts im Haar, die Ovationen des Publikums entgegennehmend.
Interessant ist die Feststellung einiger von Lautrecs Freunden, dass er sich plötzlich und überschwenglich für eine Person begeistern konnte, diese Euphorie sich dann aber schnell wieder verflüchtigte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Suzanne Valadon und Jane Avril), dauerten diese glühenden Zuwendungen nicht länger als ein paar Monate, Marcelle Lender brachte es gar nur auf wenige Wochen.
Ab dem Jahr 1898 nahmen Lautrecs Alkoholprobleme drastisch zu. Der Kunsthistoriker Jean Adhémar berichtet, dass er den Januar 1899 mehr oder weniger ununterbrochen in Bars und Weinkellern verbracht haben soll. Im März 1899 lieferte ihn seine Mutter, die angeblich schon einige Jahre zuvor einen Priester mobilisierte, um ihren Sohn wieder auf den rechten Weg zu bringen, in eine Entzugsklinik ein, wo man ihn nach drei Monaten wieder entliess. Es folgten verschiedene Aufenthaltsorte, darunter Bordeaux und 1901 nochmals kurz Paris. Am 9. September 1901 verstarb Henri de Toulouse-Lautrec im Beisein seiner Eltern auf Schloss Malromé im Bordelais, rund zwanzig Kilometer von Sauternes entfernt.