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«In Bern fehlt ein Amt für Genuss» - Interview mit Philipp Schwander, Schweiz am Wochenende
Philipp Schwander, der bekannteste Weinhändler der Schweiz, verteidigt Weintrinken gegen den Zeitgeist. Er kritisiert Gesundheitsbehörden und sagt: «Es gibt auch ein Leben vor dem Tod.»
Text: Andrin C. Willi, Bilder: Christine Benz
Schweiz am Sonntag, 02.11.2025
Welche Flasche haben Sie gestern Abend geöffnet?
Philipp Schwander: Ich muss Sie enttäuschen. Gestern gab es nur Kräutertee. Ich habe eine Erkältung eingefangen.
Sie gelten als Botschafter des Weins, aber zum Heilmittel erklären Sie ihn dann doch nicht?
Zumindest nicht gegen Erkältungen (lacht).
Wir kommen gerade vom Mittagessen. Im Restaurant sieht man kaum mehr jemanden Wein trinken.
Wer mittags ein Glas Wein bestellt, wird fast schon wie ein Alkoholiker angeschaut. Zumindest in der Deutschschweiz. Früher war Wein ein Nahrungsmittel. Heute ist er fast etwas Anrüchiges geworden, auch wegen der Weltgesundheitsorganisation, der WHO.
Wird Wein dämonisiert?
Ja, die Diskussion ist völlig entgleist. Wein besitzt – wissenschaftlich belegt – positive Effekte. Doch statt differenziert zu argumentieren, wird pauschal verurteilt.
Die Wissenschaft sagt, es komme auf die Menge Alkohol an, egal in welcher Form man ihn konsumiere.
Das stimmt grundsätzlich: Entscheidend ist die Dosis. Doch selbst was die Menge angeht, gibt es viele Missverständnisse. Die WHO stützt sich gerne auf die Lancet-Studie von 2018. Diese behauptete, schon das erste Glas Alkohol sei schädlich. Kaum jemand weiss aber, dass es 2022 im Lancet eine Nachfolgestudie gab, die diese Falschaussage korrigiert hat. Sie wird einfach verschwiegen.
Es gibt Studien für und gegen alles.
Ich rede von seriösen Studien – die erwähnte Nachfolgestudie ist nicht die einzige. Da wären auch noch die NASEM-Studie im Auftrag des US Kongresses oder jene der American Heart Association – alle zeigen eindeutig positive Effekte bei moderatem Alkoholkonsum. Und es gibt viele weitere, ausserdem sind jetzt zahlreiche hieb- und stichfeste Studien am Laufen. Nur hört man davon nichts, weil die militanten Alkoholgegner offensichtlich die Presse dominieren.
In Europa wird so wenig Alkohol getrunken wie seit 100 Jahren nicht. Ziel erreicht?
Den Aktivisten reicht das nicht, sie wollen Alkohol grundsätzlich verbieten. Sie sitzen oft in staatlichen Institutionen. Viele bei der WHO, in Bundesämtern oder in den EU-Kommissionen, die früher das Rauchen reguliert haben; jetzt wollen sie sich um den Alkoholkümmern. Es geht um ihre Daseinsberechtigung.
Nicht die Behörden, sondern die Jungen setzen die Trends. Sie dürfen sich «Master of Wine» nennen. So etwas schafft Ehrfurcht und Schwellenängste. Hat Wein trinken nicht auch ein Imageproblem?
Das stimmt. Die Gründe sind vielschichtig. Eine Amerikanisierung des Alltags spielt auch eine Rolle, eine Fast- Food-Mentalität. Früher sass man zusammen, ass und trank gemeinsam, nahm sich Zeit. Heute ist alles schneller, funktionaler. Und dann gibt es zugleich eine Bewegung, die fast krankhaft nur noch auf Gesundheit aus ist. In Teilen der Gesellschaft herrscht ein eigentlicher Langlebigkeitswahn.
Da passt Weinkonsum schlecht hinein.
Obwohl er–wie erwähnt, massvoll–für die Lebenserwartung sogar positiv ist. Mir greifen viele Longevity-Trends häufig zu kurz. Zudem: Es gibt auch ein Leben vor dem Tod!
Spricht da der Geniesser – oder der Händler?
Wein ist ein Kulturgut, das schlecht geredet wird. Die Menschen sind gestresster als einst, haben keine Zeit mehr, etwas mit Freunden zu geniessen. Genuss gilt heute – nicht nur was den Wein betrifft– als unvernünftig. Er passt nicht in den Optimierungs- und Kontrollwahn. Viele tun alles, um gesund zu bleiben, aber vergessen, zu leben.
Trinken Sie denn regelmässig Wein?
Natürlich.
Eine Flasche zu zweit am Abend?
Mindestens. Wein ist Teil unserer europäischen Kultur, dahinter steckt viel mehr als nur ein Getränk. Seine Verteufelung ist ein Angriff auf die Lebensqualität und unsere Identität.
Jedenfalls gäbe es ohne Wein wohl viele Beziehungen nicht – und auch viele Kinder nicht.
Stellen Sie sich ein ausgelassenes Fest
vor, an dem alle nur Wasser trinken.
Ist alkoholfreier Wein eine
Alternative?
Er wirkt wie ein Erfrischungsgetränk.
Beim Bier lassen sich die 4,5 Prozent Alkohol
mit Hopfen aromatisch kaschieren,
beim Wein sind 13 bis 15 Prozent Alkohol
integraler Geschmacksträger.
Nimmt man Alkohol weg, fehlen der
Körper und das Fleisch; oft kompensiert
man das mit Zucker, was ähnlich
unvorteilhaft ist.
Sie beklagen die Verteufelung des
Weins. Gleichzeitig hört man aber
auch von Leuten, die keinen Alkohol
trinken, sie müssten sich dauernd
dafür rechtfertigen.
Ich empfinde diesen Druck als genauso
falsch. Wir leben doch in einer freiheitlichen
Gesellschaft – warum soll man
sich überhaupt erklären müssen, was
man trinkt oder isst? Selbst für ein fettes
Stück Fleisch glaubt man sich heute
rechtfertigen zu müssen.
Und Sie müssen sich entschuldigen,
wenn Sie bei einem Essen mal
keinen Wein trinken?
Ich mache mindestens einen alkoholfreien
Monat pro Jahr; das erkläre ich
kurz, und dann ist es kein Thema.
Zu jedem Trend gibt es einen
Gegentrend. Sehen Sie Anzeichen?
Die Gesellschaft ist in Teilen wieder
weniger bevormundend-moralistisch,
«Wokeness» ist auf dem Rückzug.
Einen eigentlichen Gegentrend sehe
ich allerdings noch nicht. Der Pro-
Kopf-Weinkonsum ist von 47 Litern im
Jahr 2003 auf 24 Liter gefallen. Das ist
okay, wenn es freies Verhalten ist, aber
es ist nicht die Aufgabe der Politik, immer
mehr Druck zu machen. Ständerat
Beni Würth reichte zu den WHO-Empfehlungen
eine Interpellation ein. Die
Antworten des Bundesrates zeigten:
Das muss jemand vom BAG geschrieben
haben.
Wie meinen Sie das?
Die Gesundheitsbehörden negieren
die neuesten Studien und den Umstand,
dass nur rund 3 % der Bevölkerung
Alkoholiker sind. Man kann doch
unmöglich einen derart radikalen Feldzug
gegen den Alkohol lostreten. In
Bern fehlt ein Amt für Genuss!
Alkohol kann schlimme Folgen
haben, sogar tödliche.
Mit Küchenmessern wurden auch
schon Menschen ermordet. Aber weil
die meisten Menschen Küchenmesser
zweckmässig verwenden, sind sie akzeptiert.
Das Absurde: Während das
Glas Wein verteufelt wird, werden gewisse
Drogen heute eher verharmlost.
Ist Wein keine Droge?
Nein, er ist ein Kulturgut. Aber Alkohol
kann zweifellos abhängig machen.
Nur: Verglichen mit Koks ist das Risiko
deutlich geringer.
Zurück an die Bar: Warum bestellt
ein junger Mensch dort keinen
Wein?
In der Schweiz ist Wein oft teuer – und in
vielen Bars schlicht scheusslich. Wer will
schon 15 Franken für ein Glas aus einer
seit Tagen offenen Flasche zahlen? Hinzu
kommt: Junge lieben Marken.
Winzer sind keine Marken?
Bei Bier und Spirituosen haben wir globale
Brands. Heineken sponsert die
Champions League und die Formel 1.
Weingüter sind meist klein, es gibt
nicht viele, die weltbekannt sind. Die
meisten Winzer können sich eine derart
massive Werbung nie leisten.
Es gibt aber trotzdem berühmte,
überzahlte Weine!
Die Macht dieser Namen ist riesig. Das
sieht man oft bei Blindproben, in denen
ich berühmte Weine neben zwanzigmal
preiswerteren Weinen serviere.
Wird dann aufgedeckt, sagen viele,
«mit mehr Luft wird jetzt der teure
Wein immer besser».
Was ist das grösste Fettnäpfchen, in
das Laien beim Wein trinken tappen
können?
Wenn sie versuchen, die Fachsprache
zu imitieren. Dieses Gerede von «Sumatra
Tabaknoten mit gerösteten
Weichselkirschen» oder vom «mineralisch
puristischen Charakter» ist einfach
lächerlich. Beim «Master of Wine» wurde uns gesagt: Beschreibe den Wein so, dass es jeder versteht.
Viele merken nicht einmal, wenn ein Wein Zapfen hat.
Das ist manchmal sogar für einen Profi schwierig. Es gibt leichte Korknoten, die sich erst nach ein paar Minuten entfalten. Dann ist die Flasche schon halb leer.
Wie lange bleibt eine geöffnete Flasche gut?
Sehr unterschiedlich. Als Faustregel: 1 bis 2 Tage. Wir arbeiten mit Vakuumverschlüssen, so hält sich der Wein bis zu zwei Tage. Oxidativ ausgebaute Weine, solche, die lange im Holz waren, kippen schneller; reduktive, frische halten oft etwas länger.
Wie steht es um den Schweizer Wein?
Wir haben mittlerweile exzellente Weine in der Schweiz – dank der Importöffnung von 2001. Leider gibt es vor allem in der französischen Schweiz Winzer, welche die Import-Kontingentierung wieder einführen möchten. Ungeheuerlich: Sie möchten diese noch an die Inlandleistung binden, dadurch würden sie den Weinhandel ruinieren.
Ist Schweizer Wein zu teuer?
Ich finde nicht. Die Nachfrage macht den Preis. In der Bündner Herrschaft kostet eine Top-Flasche am Markt schnell 60 Franken bei Kosten von etwa 12 Franken. Aber: Ein Bordeaux Premier Cru für 500 Franken kostet übrigens auch etwa 12 Franken in der Herstellung.
Ich habe nächsten Samstag Gäste und will sie mit einem Schweizer Weisswein und einem Schweizer Rotwein beeindrucken – ohne mich zu ruinieren. Was empfehlen Sie?
Und es soll ein Schweizer sein?
Ja.
Also, spontan: Für Weiss würde ich einen Petit Arvine von Gérald Besse nehmen. Beim Rotwein würde ich einen gereiften Chambleau Pinot Noir «Pur Sang» aus Neuenburg öffnen.
Sie hätten wohl lieber einen Franzosen empfohlen. Wohin bewegen sich da die Preise?
Die Kunst besteht darin, grossartige Weine zu entdecken, bevor sie berühmt und teuer werden. Wir erleben eine spannende Zeit. Man kann heute sehr gute Weine zu günstigen Preisen einkaufen. Aber zum Glück purzeln jetzt auch die Preise der teuren Weine.
Diese ständigen Aktionen mit 20 oder 30 Prozent Rabatt – sind das Alarmzeichen für Händler?
Viele Händler arbeiten permanent mit Rabatten. Wer die Preise genau anschaut, erkennt: Der Preis nach dem Rabatt wäre oft der eigentliche Normalpreis.
Was ist für Sie ein günstiger Wein?
Zwischen 12 und 16 Franken die Flasche. Bei Rotwein mit Fassausbau landet man fast immer bei rund 15 Franken. Darunter wird es schwierig. Aber für 15 Franken kann man bereits sehr gute Weine bekommen, die viel Freude bereiten.
Und merkt man im Glas, ob ein Wein 30 oder 300 Franken kostet?
Nicht immer. In Blinddegustationen können günstige Weine erstaunlich gut abschneiden.
Der Schweizer Wein-Papst
Der gebürtige St.Galler Philipp Schwander, 60, ist seit über 30 Jahren im Weinhandel tätig. Nach einer KV-Lehre absolvierte Schwander die Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule und leitete bei Martel in St.Gallen rund zwölf Jahre den Weineinkauf. 1996 bestand er die weltweit schwierigste Weinprüfung, den Master of Wine. 2003 gründete er die «Selection Schwander» in Zürich; 2016 eröffnete er auch in St.Gallen eine Filiale. Heute ist das Unternehmen eines der erfolgreichsten Weinhäuser der Schweiz.
Text: Andrin C. Willi, Bilder: Christine Benz
Degustieren
Alle Weine der aktuellen Promotion können in unseren Ladenlokalen kostenlos degustiert werden.