Ihr Newsletter-Abonnement wurde erfolgreich registriert.
Kunstkarten
David Young Cameron «Doge’s Palace» 1902
Radierung und Kaltnadel, Rinder 326 ii, Privatsammlung
Im Jahr 1928, zwei Jahre nachdem das British Museum 600 £ für eine Studie Michelangelos zu seinem berühmtem Deckenfresko «Die Erschaffung Adams» in der Sixtinischen Kapelle bezahlt hatte, erwarb es für 660 £ Camerons Radierung des imposanten 17 Meter hohen Glasfensters «The Five Sisters» des York Minsters. Dies war seinerzeit ein unglaublich hoher Preis. Zum Vergleich: 1920 betrug das Jahressalär eines Feuerwehrmannes in England ungefähr 72 £. Michelangelos Zeichnung ist heute sicher Millionen wert, während «The Five Sisters» von Cameron nur noch wenigen Insidern bekannt und theoretisch für rund 7000 Fr. zu bekommen ist. (Da nur 30 Exemplare gedruckt wurden und sich die meisten in öffentlichen Sammlungen befinden, gelangt «The Five Sisters» de facto praktisch nie auf den Markt.)
David Young Cameron, der 1924 von King George V. geadelt wurde, gehörte zu Lebzeiten, insbesondere zwischen 1910 und 1930, zu den berühmtesten und gefragtesten Druckgraphikern im angelsächsischen Raum. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit war Cameron im öffentlichen Leben engagiert und in den 1920er und 1930er Jahren eine der angesehensten Figuren der britischen Kunstwelt. So amtete er beispielsweise als Trustee in der Tate Gallery oder den National Galleries of Scotland. Es überrascht deshalb wenig, dass der legendäre Print Room Keeper des British Museums, Arthur M. Hind, ein umfangreiches Buch über die Radierungen Camerons schrieb. Deren nahezu astronomischen Preise (oft mehrere hundert Pfund für einen Abzug) erreichten das Niveau seltener Rembrandt-Abzüge. Mitunter liess sich Cameron von seinen Galeristen sogar in Rembrandt-Druckgraphiken auszahlen. (Seine Sammlung von 55 Rembrandt-Radierungen vermachte er 1943 den National Galleries of Scotland.) Cameron war Perfektionist, und wie sein Vorbild Rembrandt druckte er die meisten seiner Werke selbst, oft in sehr kleinen Auflagen von 10 bis 80 Blatt. Er wollte auf alle Fälle verhindern, dass die Qualität der Drucke bei zu grossen Stückzahlen litt. Nicht selten vernichtete er auch Exemplare, wenn sie seinen hohen Anforderungen nicht genügten. So schrieb er etwa seinem Agenten Connell: «… Some of my proofs were not good enough and I am printing finer ones at Goulding’s.»
Cameron (1865 bis 1945) entstammte einer reformierten Priesterfamilie aus Glasgow. Die Stadt war damals eines der wichtigsten wirtschaftlichen Zentren des gesamten British Empire: Die Einwohnerzahl stieg rasant von 84'000 im Jahr 1801 auf 762'000 in Jahr 1901. Elementar waren der Schiff- und Lokomotivbau, deren Güter in die ganze Welt exportiert wurden. 1876 wurden beispielsweise bereits drei Viertel der Schiffe der britischen Handelsmarine mit Maschinen aus Glasgow angetrieben. Durch den Wandel der Stadt und des Westen Schottlands zu einem der bedeutendsten Industriezentren der Welt, eröffneten sich auch für Kunsthändler und Galerien günstige Bedingungen, da der Wohlstand der Oberschicht rasant zunahm und zahlreiche Kunstliebhaber eine rege Sammlertätigkeit entwickelten. Nicht zuletzt hatte die Prosperität und das damit verbundene Bevölkerungswachstum auch Auswirkungen auf die Kirchgemeinde, für die Camerons Vater verantwortlich war: alleine acht Sonntagsschulen mit 80 Lehrern und 800 Schülern.
Cameron selbst hatte sehr zum Leidwesen seines Vaters nie Theologie studiert, allerdings spielte die Religion zeit seines Lebens eine wichtige Rolle, wovon einige kirchliche Sujets in seinen Arbeiten (The Five Sisters, Gloucester Cathedral etc.) zeugen. Schnell zeigte sich, dass der Bürojob in einer Eisengiesserei nichts für ihn war; nebenbei besuchte er die Glasgow School of Art, später die Edinburgh School of Art. Dann wurde er 1887 durch einen Zufall von George Stevenson entdeckt. Der Sohn einer vermögenden Industriellenfamilie war ein leidenschaftlicher Hobby-Druckgraphiker und Freund von Sir Francis Seymour Haden, dessen Radierungen Cameron durch ihn kennen und schätzen lernte. Daneben übten auch die Werke von Whistler und Meryon grossen Einfluss auf ihn aus. Stevenson erkannte Camerons Talent und überzeugte ihn schliesslich, sich ganz auf die Druckgraphik zu konzentrieren. Er unterstützte ihn tatkräftig, machte ihn mit guten Händlern bekannt und veröffentlichte seine Clyde-Serie von Radierungen.
Cameron produzierte von 1887 bis 1932 insgesamt 520 Druckgraphiken und arbeitete in der Tradition der peintre-graveur, die eigene Kreationen schufen statt Kopien von Gemälden anderer Künstler. Bereits früh konnte er bei renommiertesten Händlern wie Richard Gutekunst in London oder Frederick Keppel in den USA ausstellen. Ab 1900 erfreuten sich seine Werke, die vor allem Landschaften und Architektur zum Thema hatten, einer riesigen Nachfrage. Das «North Italian Set» wurde 1896 für 30 £ angeboten, 1911 kostete es bereits 460 £ und 1929 lag der Preis bei 1290 £.
Berühmt sind Camerons kontemplative, kontrastreiche, mitunter beinahe mystische schottische Landschaften wie Ben Ledi, Ben Lomond, Glen Strae und andere. (Leider eignen sie sich weniger zur Reproduktion im kleinen Format der Postkarte.) Zahlreiche Reisen führten ihn durch ganz Europa bis nach Ägypten. Das Venedig-Sujet «Doge’s Palace» wurde nur in wenigen Abzügen gedruckt, da diese Arbeit offiziell nie für den Verkauf bestimmt war. Der Dogenpalast erhebt sich markant direkt über dem Wasser und grenzt sich durch die tiefen Schatten von den umliegenden Häusern ab. Wirkungsvoll kontrastiert die abstrakte Wiedergabe des Wassers mit den sorgfältig ausgeführten architektonischen Details.
Nach seinem Tod geriet Cameron, der auch als Maler tätig war, in Vergessenheit. Die grössten Bestände an seinen Arbeiten finden sich in folgenden Museen: National Gallery of Art Washington (450 Stück; Schenkung Lessing Rosenwald), Public Library Boston (400 Stück; Schenkung Albert H. Wiggin), Metropolitan Museum NY (über 300 Stück; Schenkung H.B. Dick). In Europa besitzen v.a. das British Museum, Berlin, Budapest und Dresden Werke von Cameron.